Verkehrs- und Mobilitätswende

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Unter Verkehrs- oder Mobilitätswende versteht man im weiteren Sinne die Umstellung des Verkehrssystems auf ein nachhaltiges, multimodales Verkehrssystem, mit dem der Ausstoß von Treibhausgasen minimiert werden soll, gesundheitliche Schäden durch Luftverschmutzung oder Unfälle vermieden werden sollen und in die Nutzung des öffentlichen Raumes neu organisiert (Flächengerechtigkeit) und der Flächenverbrauch für Verkehr reduziert werden sollen. Ein Hauptmotiv für die Verkehrs- und Mobilitätswende ist die Reduzierung von verkehrsbedingten Umwelt- und Gesundheitsschäden und damit die Verringerung der externen Kosten, die durch Umwelt- und Gesundheitsfolgekosten für die Allgemeinheit entstehen.

Lange wurde die Verkehrs- und Mobilitätswende politisch eingefordert, aber erst durch internationale Verpflichtungen, wie z.B. das Übereinkommen von Paris und die Konkretisierung in den Beschlüssen in Kattowice zur Senkung von CO2-Emissionen, definiert. Darauf aufbauend hat die Europäische Kommission den Green Deal verabschiedet, mit dem die CO2-Neutralität innerhalb der EU auf das Jahr 2040 vorgezogen wird.

Um die darin festgelegten Ziele einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2°C zu erreichen, müssen vor allem die CO2-Emissionen des Verkehrs in den Industrieländern deutlich gesenkt werden. Österreich liegt hinsichtlich der Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen innerhalb der EU an drittletzter Stelle. Insbesondere im Verkehrssektor ist die Umweltbelastung in Österreich seit 1990 trotz aller technischer Innovationen kontinuierlich angestiegen (s. Abbildung).

Treibhausgasemissionen in Österreich

Die bisher dafür im Verkehrsbereich getroffenen Maßnahmen reichen offensichtlich nicht aus, um die gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen. Der Grund hierfür liegt vor allem im Mobilitätsverhalten (die Zunahme der Zahl der Kfz, der Kauf größerer und schwerer Pkw (SUVs), weitere und schnellere Fahrten, etc.). Daher ist es notwendig, Verhaltensaspekte stärker in der Forschung und den Maßnahmen zu berücksichtigen.

Zudem sollte das allgemeine Verständnis einer Verkehrs- und Mobilitätswende in drei Aspekte unterteilt werden[1]:

  • Die Antriebswende (s. Fahrzeugtechnologien): Dieses ist der Bereich der größten Aufmerksamkeit der Forschungsförderung und der Verkehrspolitik. Darunter sind neue, postfossile Antriebe zu verstehen (batteriegetriebene Elektromobilität, Wasserstoff-Antriebe, etc.) sowie neue künstliche Treibstoffe. Mittelfristig gehören hier auch automatisierte und vernetzte Fahrzeuge hinzu.
  • Die Verkehrswende: Damit sind Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur zur effizienten Verkehrslenkung, für Ladestationen postfossiler Antriebe, die Stärkung des ÖPV, das Vernetzen unterschiedlicher Verkehrsträger und sonstiger Apps sowie Infrastrukturen für den Fahrrad-Verkehr und das zu Fuß gehen gemeint.
  • Die Mobilitätswende (im engeren Sinne): Darunter werden Maßnahmen verstanden, mit denen Prozesse des Nachdenkens und des Nutzens von Mobilitätsformen angestoßen werden, die nachhaltiger sind (s. Veränderungsprozesse). Hierbei stehen die „3v“ im Mittelpunkt [1]:
    • vermeiden von unnötigen Fahrten
    • verlagern auf weniger klima- und umweltschädigende Fahrzeuge
    • verbessern des Verkehrsangebotes und der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Dieser Bereich wird allerdings sehr unterschiedlich interpretiert – von effizienterer Verkehrslenkung bis zum klimafreundlichen Plätzen.

Bislang wird sehr intensiv über die Antriebswende diskutiert und es werden entsprechende Forschungsförderungen prioritär adressiert. Dabei wird übersehen, dass die Mobilitätswende „im Kopf“ stattfindet, dass also Mobilitäts-Routinen hinterfragt und ggf. geändert werden müssten[2]. Ein weiterer, häufig übersehener Aspekt ist, dass das Verkehrssystem immer im Zusammenhang mit der Siedlungs(sentwicklung) zu sehen ist[3]. Zudem wurde bislang zu wenig diskutiert, dass die Lasten und Vorteile der Verkehrs- und Mobilitätswende sozial und regional ungleich verteilt sein werden – man spricht hierbei von ‚transport justice‘[4] resp. von ‚mobility justice‘[5].

Um die Verkehrs- und Mobilitätswende zielführend und sozialverträglich einleiten und gestalten zu können, sind herausfordernde Weichenstellungen in Politik und planender Verwaltung notwendig[6]. Das ist insbesondere notwendig, weil der aktuelle und künftige gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontext von starken Umbrüchen gekennzeichnet sein wird[7][8].

Radikalere Positionen gehen davon aus, dass eine angemessene Umsteuerung nur dann gelingen kann, wenn die Automobilität – also die gesamte gesellschaftliche Abhängigkeit vom Pkw, der Automobilindustrie, der Bedeutung des Pkw als Image etc. – überwunden werden kann[9][10].

Siehe noch: Fahrzeugtechnologien

Einzelnachweise

  1. Manderscheid, K. (2020): Antriebs-, Verkehrs- oder Mobilitätswende? Zur Elektrifizierung des Automobildispositifs. In: A, Brunnengräber & T. Haas (Hrsg.): Baustelle Elektromobilität. Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Transformation der (Auto-)Mobilität. Bielefeld: transcript: 37-67.
  2. Bamberg, S. (2012): Wie funktioniert Verhaltensänderung? Das Selbstregulationsmodell. In: M. Stieve & U. Reutter (Hrsg.): Mobilitätsmanagement – wissenschaftliche Grundlagen und Wirkungen in der Praxis. Dormund: ILS: 76-102.
  3. BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung, Referat Nachhaltigkeit, Klima, Energie) (Hrsg.) (2015): Zukunftsstadt. Strategische Forschungs- und Innovationsagenda. Berlin. https://www.fona. de/medien/pdf/Zukunftsstadt.pdf.
  4. Martens, K. (2017): Transport Justice. Designing Fair Transport Systems. New York & Milton Park: Routledge.
  5. Sheller, M. (2018): Theorising mobility justice. In: Tempo Social. Revista de Sociologica da USP 30 (2): 17-34.
  6. Ruhrort, L.; Levin-Keitel, M.; Allert, V.; Gödde, J. & Krasilnikova, N. (2021): Perspektiven zu einer sozio-räumlichen Transformation zu nachhaltiger Mobilität. Theoretische und konzeptionelle Grundlagen. Arbeitspapier 2 der Nachwuchsforschungsgruppe MoveMe. https://eldorado. tu-dortmund.de/bitstream/2003/40296/1/arbeitspapier2_transformation_nachhaltige_mobilitaet. pdf.
  7. Lyons, G. & Davidson, C. (2016): Guidance for transport planning and policymaking in the face of an uncertain future. In: Transportation Research Part A 68: 104-116.
  8. Dangschat, J.S. (2020): Raumplanung in der Zweiten Moderne. In: Dillinger, Thomas; Getzner, Michael; Kanonier, Arthur & Zech, Sibylla (Hrsg.): 50 Jahre Raumplanung an der TU Wien: Studieren –Lernen – Forschen. Jahrbücher des Instituts für Raumplanung der TU Wien 8. Wien: Neuer wissenschaftlicher Verlag: 426-447.
  9. Geels, F.W.; Kemp, R.; Dudley, G. & Lyons, G. (2012): Automobility in Transition? A Socio-Technical Analysis of Sustainable Transport. New York & Milton Park: Routledge.
  10. Manderscheid, K. (2021); Selbstfahrende Wende oder automobile Kontinuität? Überlegungen zu Technologie, Innovation und sozialem Wandel? In: M. Mitteregger, E.M. Bruck, A. Soteropoulos, A. Stickler, M. Berger, J.S. Dangschat, R. Scheuvens & I. Banerjee (Hrsg.): AVENUE21 – Politische und planerische Aspekte der automatisierten Mobilität. Berlin: Springer Vieweg: 27-40. https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-662-63354-0_4.pdf.