Barrieren & Disparitäten

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Ungleichheiten werden solche Bedingungen genannt, die bestimmten sozialen Gruppen darin einschränken, sich angemessen gesellschaftlich beteiligen zu können. Das sind im Verkehrssektor vor allem (#physische Barrieren), aber auch zu geringe zeitliche (#zeitliche Barrieren) und ökonomische Ressourcen (#sozioökonomische Barrieren). Hinzu kommen Einschränkungen, die stark personengebunden sind, weil diese Menschen bestimmte Informationen nicht aufnehmen können. Diese Ungleichheiten wurden bislang nur im Verkehrssektor aufgenommen, während in anderen Aspekten der Mobilität (neben der physischen Mobilität auch die Beweglichkeit von Informationen, Ideen, Narrationen etc.), beispielsweise hinsichtlich des Zugangs zum Internet, diese Aspekte bislang unberücksichtigt sind. Schließlich können auch (#emotionale Barrieren) die Nutzung von Mobilitätsangeboten einschränken, obwohl sonst keine Barrieren vorliegen.

Physische Barrieren

Physische, also bauliche Barrieren sind Mauern, unüberwindbare Stufen oder starke Steigungen. Sie betreffen vor allem Personen mit Geheinschränkungen und visuellen Einschränkungen, die Verkehrsmittel nicht oder nur eingeschränkt nutzen und/oder öffentliche Gebäude nicht betreten und den öffentlichen Raum nicht nutzen können. Um diesem Personenkreis ihre eigenständige Mobilität erleichtern zu können, haben die United Nations (UN) und in Folge die Europäische Union (EU) Rahmenverordnungen erlassen, um den mobilitätseingeschränkten Personen einen Zugang und damit eine verbesserte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Die nationale Umsetzung bezieht sich vor allem auf die Gestaltung der Fahrzeuge und bauliche Maßnahmen an Verkehrsanlagen sowie im Straßenraum und ist durch entsprechende Verordnungen geregelt.

In Deutschland ist dazu am 01.05.2002 das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze in Kraft getreten. Die TU Darmstadt hat diesbezüglich eine Beschreibung der Anforderungen mobilitätseingeschränkter Menschen im barrierefreien Schienenpersonennahverkehr durchgeführt.

In Österreich wurde zu diesem Thema die Studie b.unt barrierefrei unterwegs 2007 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (bm:vit) zur Vorbereitung der Programmlinie ways2go veröffentlicht.

Sozioökonomische Barrieren

Sozioökonomische Einschränkungen betreffen das verfügbare Haushaltseinkommen. Zu wenig Geld zu haben bedeutet, sich bestimmte Wege „nicht leisten“ zu können, die folglich unterbleiben. Je nach Art der Wege, wirkt sie dieses jedoch unterschiedlich aus: Ist der Weg zur weiterführenden Schule, zu einem passenden Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu weit, dann führt das zu weiteren sozioökonomischen Einschränkungen. Können Kultur- und Freizeiteinrichtungen nicht aufgesucht werden oder Freunde „außerhalb der Reichweite“ leben, dann hat das oftmals Einschränkungen zur Folge, die sich in einer eingeschränkten Lebensqualität und Wohnzufriedenheit auswirken. Aber auch das ist politikrelevant, weil eine angemessene kulturelle und soziale Teilhabe gesichert sein sollte. Dennoch gibt es in diesem Bereich keine ähnlich verbindlichen internationalen Vorgaben, die sich auf die allgemein verbindlichen Menschenrechte beziehen. Es bleibt den lokalen/regionalen/nationalen Aushandlungsprozessen überlassen, wie Tarifstrukturen des Personenverkehrs für einkommensschwache Personen geregelt werden (Schüler- und Senioren-Karten, Zuschüsse, 0-Tarife, etc.). Diese Barrieren liegen in der Regel unterhalb des „gesellschaftlichen Radars“ der Wahrnehmung dieser Barrieren. Neben den Kosten für einzelne Fahrten ist die Frage der Leistbarkeit einzelner Verkehrsmittel ein weiterer relevanter Bereich. Insbesondere in dünn besiedelten Regionen mit schlechter Erreichbarkeit durch den ÖPV und für aktive Formen der Mobilität, sind Menschen häufig auf den motorisierten Individualverkehr (MIV) angewiesen, was die Kaufkraft dieser Gruppen rasch überfordert.

Der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) hat 2009 eine Publikation zum Thema Soziale Aspekte von Mobilität veröffentlicht. Darin wird darauf eingegangen, wie sich das Mobilitätsverhalten von Menschen aufgrund ihres Einkommens unterscheidet. Auch die verkehrlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit werden dort beschrieben. Weiters wird dabei die Fragestellung erörtert, wie die Verkehrsplanung zur Integration von Menschen beitragen kann.

Zeitliche Barrieren

Zeitliche Restriktionen entstehen für Personen, wenn berufliche und private Verpflichtungen einen sehr großen Zeitraum einnehmen. Insbesondere bei mehreren unterschiedlichen Verpflichtungen (Betreuung, Pflege, Hol- und Bringdienste, einkaufen) entsteht aufgrund der zu überwindenden Entfernungen ein hoher Verkehrsaufwand, der gerade bei intermodalen Wegeketten nicht nur einen hohen Koordinierungsaufwand bedeutet, sondern wegen der Umsteige- und Wartezeiten oft auch sehr zeitaufwändig ist. Die Verteilung von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit ist nach wie vor sehr ungleich zwischen Männern und Frauen verteilt. Dennoch muss hier zwischen der biologischen Zuordnung von Männern, Frauen und einem unbestimmten Geschlecht auf der einen Seite und gender unterschieden werden. Unter gender sind Zuschreibungen von Rollen an unterschiedliche Gruppen gemeint, d.h. beispielsweise auch die ungleiche Verteilung von Aufgaben, welche Wege erzeugen, die koordiniert werden müssen. Diese Ungleichheiten werden von Politik und Planung nicht berücksichtigt; der Ausgleich von Benachteiligungen bleibt den jeweiligen Mitgliedern von Haushalten selbst überlassen.

  • Gender Gap im Verkehrs- und Mobilitätsbereich
Ein zu diesem Thema passendes VCÖ-Projekt stellt der der Hintergrundbericht zum Gender Gap im Verkehrs- und Mobilitätsbereich dar. Darin wird auf die ungleichen Mobilitätschancen von Frauen und Männern eingegangen und die geschlechterpolitischen Positionierungen der Gender im Verkehrs- und Mobilitätsbereich beschrieben.

Kognitive Barrieren / digital divide

Unter kognitiven Barrieren werden mentale Einschränkungen verstanden, die von den Sinnen her und/oder vom Verständnis her von Personen nicht bewältigt werden können. Das bezieht sich vor allem auf Informationen – daher alle Informationen im ÖPV als double sense, das heißt zu lesen und zu hören. Aktuelle Informationen zu Fahrplänen oder Verspätungen sowie vor allem über Mobilitätsangebote des Sharing und von verkehrsmodus-übergreifenden Angeboten zur Unterstützung der Intermodalität werden zunehmend nicht mehr über persönliche und telefonische Kontakte oder ausgedruckte Fahrpläne vermittelt, sondern über digitale Informationssysteme (z.B. ÖBB Scotty etc.), die ein (mobiles) Endgerät, entsprechende Software-Pakete und die Kenntnis ihrer Anwendung erfordern. Das bedeutet, dass der Zugang zur digitalen Welt für bestimmte Bevölkerungsgruppen versperrt bleibt. Dass diese Barriere vor allem für ältere Menschen gilt, ist zwar empirisch richtig, jedoch nur eine sehr verallgemeinerte Aussage. Da der informationstechnische Wandel rascher erfolgt als die Fähigkeit zur Anpassung, ist zu befürchten, dass die Zahl der von modernen Mobilitätsangeboten ausgegrenzten Menschen ansteigen wird.

Eine AK Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Schulen und Lehrbetriebe zu wenig digitale Kompetenzen ausbilden und es dadurch zu einer Spaltung von Jugendlichen kommen kann. So ist der Digital Divide nicht zwangsläufig als intergenerationales Phänomen zu sehen. Auch innerhalb einzelner Generationen sind deutliche Unterschied bezüglich der digitalen Fitness von Personen festzustellen. Ein flächendeckendes digitales Kompetenzmodell um diesem Trend entgegenzusteuern hat das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung mit dem digi.komp ins Leben gerufen.

Im EKoM Endbericht werden kognitive Mobilitätsbarrieren beschrieben und über deren Beseitigung mittels multimodaler Verkehrsinformationssystemen berichtet.

Emotionale Barrieren

Emotionale Barrieren können durch Erlebnisse oder mediale Berichterstattungen entstehen. Solche Eigen- oder Fremderfahrungen können eine starke Ablehnungshaltung bewirken, die auch bestehen bleibt, wenn die Grundlage der Erfahrungen real gar nicht gegeben oder stark verzerrt ist. So können Berichte von Flugunfällen paradoxerweise trotz der extremen Sicherheit des Flugverkehrs zu Flugangst führen, während den zahlreichen Straßenverkehrsunfällen kaum Beachtung geschenkt wird, es sei denn, man hat selbst einen Unfall erlebt. Eine weitere Form emotionaler Barrieren wird durch soziale Dynamiken bewirkt. So werden Alternativen beispielsweise nicht genutzt, weil niemand aus dem eigenen sozialen Umfeld diese Alternative nutzt und man nicht riskieren möchte, als Außenseiter angesehen zu werden (bekannt unter dem Begriff social proof), oder weil man sich nicht zutraut, die Nutzung zu beherrschen und befürchtet, von anderen als inkompetent beurteilt zu werden. Emotionale Barrieren können aber auch ganz einfach dadurch bestehen, dass eine Alternative schlichtweg fremd ist und es keine Erfahrungen dazu gibt. In diesem Fall bleibt man lieber bei den gewohnten Mustern, die ein kalkulierbares Risiko darstellen, als eine Alternative zu testen, die sich als schlechter herausstellen könnte. Ein anschauliches Beispiel für dieses Verhaltensmuster sind morgendliche Staus im Pendelverkehr, der bei den Betroffenen teilweise sogar eingeplant wird, anstatt auf den unbekannten und teilweise komplizierten (Fahrpläne, Tarife) öffentlichen Verkehr umzusteigen.

Im EKoM Endbericht werden emotionale Mobilitätsbarrieren beschrieben und über deren Beseitigung mittels multimodaler Verkehrsinformationssystemen berichtet.