Soziale Differenzierung des Verhaltens: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Unterscheidung in unterschiedliche Zielgruppen in der Verkehrs- und Mobilitätsforschung wird unter der Annahme getroffen, dass die definierten Gruppen intern eine gewisse Homogenität ihres Mobilitätsverhaltens zeigen, das sich wiederum von derjenigen der anderen Gruppen deutlich unterscheidet. Die Kriterien, nach denen Gruppierungen vorgenommen werden, hat sich innerhalb der Wissenschaft im Laufe der letzte 50 Jahre verändert – von den soziodemografischen und sozioökonomischen Strukturmerkmalen, die auch in der amtlichen Statistik erfasst werden, hin zu verhaltenshomogenen Gruppen und zu soziokulturellen Gruppen (ähnlicher Mobilitätsstil, gleiches soziales Milieu).
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Menschen unterscheiden sich häufig in ihrem Verhalten, auch wenn sie in ähnlichen sozialen und sozialräumlichen Kontexten agieren (s. [https://de.wikipedia.org/wiki/Behaviorismus Behaviorismus]). Wie groß das Spektrum des Verhaltes sein kann, hängt von den „Spielräumen“ ab, die als finanzielle oder zeitliche Ressource angesehen werden können oder als normative Hinweise wie „Hausordnungen“, Gesetze und Verordnungen. In modernen und wohlhabenden Gesellschaften geht man davon aus, dass die „Spielräume“ größer sind und Interessen und Zielsetzungen sich im Rahmen des [https://de.wikipedia.org/wiki/Wertewandel Wertewandel]s ausdifferenzieren (Wertevielfalt). Ein Grund hierfür besteht darin, dass traditionelle Institutionen, die Werte vorgeben (Religion, Gewerkschaften, politische Parteien, traditionelle Medien) an Bedeutung verlieren. An die Stelle traditioneller Milieus mit entsprechenden Werten (vor allem unter den älteren Menschen) treten zunehmend Faktoren wie Individualität, Flexibilität und neue soziale Schließungen entlang von zusammengebastelten Werte-Konglomeraten, die insbesondere über die „neuen“ sozialen Medien gestärkt werden (Echokammern). Diese, eher von den jungen Erwachsenen getragenen Werte bestimmen zunehmend die Erwerbsarbeit, aber auch die privaten Beziehungen.
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Aber selbst bei engen und verpflichtenden Rahmenbedingungen kommen [https://de.wikipedia.org/wiki/Devianz abweichende Verhaltensweisen] vor: Überschreitung der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen; falsches Tragen des Mund-Nasen-Schutzes in öffentlichen Verkehrsmitteln, etc. In der Verkehrsforschung geht man häufig von „Durchschnitts-BürgerInnen“ (= alle Menschen handeln immer in gleicher, durchschnittlicher Weise) oder von „immer rational handelnden Menschen“ aus (immer schnell und preisgünstig von A nach B) (z.B. in Modellierungen), dann ist es wahrscheinlich, dass es einige Menschen gibt, die sich nicht wie erwartet verhalten, was dann als [http://changemobility.at/wiki/index.php?title=Ma%C3%9Fnahmenwirkung_und_Rebound-Effekte Rebound-Effekt] eingeordnet wird. Je enger der gesteckte Rahmen ist, umso eher verhalten sich alle Menschen gleich, denn die meisten halten sich an die Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn. Sind jedoch die „Spielräume“ größer – beispielsweise bei der Verkehrsmittelwahl in Großstädten , dann hängt das Mobilitätsverhalten sehr stark von Persönlichkeitsmerkmalen ab.
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Auf dieser Seite werden daher gängige Typologien vorgestellt, die innerhalb der Verkehrs- und Mobilitätsforschung benutzt werden, um ein unterschiedliches Mobilitätsverhalten zu beschreiben und zu erklären. Diese Typologien bilden wegen ihrer „Gemeinsamkeiten innerhalb der gesellschaftlichen Vielfalt“ auch die Grundlagen dafür, [[Zielgruppen]] für differenzierte Informationskampagnen, Beteiligungsformate, Anreizsysteme etc. zu definieren und ggf. das [http://changemobility.at/wiki/index.php?title=Einfl%C3%BCsse_auf_Verhaltens%C3%A4nderungen Verhalten von bestimmten sozialen Gruppen zu beeinflussen] (beispielsweise, um die Verkehrs- und Mobilitätswende einleiten und unterstützen zu können).
  
 
==Soziodemographische Gruppen==
 
==Soziodemographische Gruppen==
Die „klassische“ Form ist die Unterteilung nach soziodemografischen Kategorien: Alter, Geschlecht, Haushaltstyp, später auch Nationalität und Migrationshintergrund. Diese Kategorien lassen sich aus der amtlichen Statistik ableiten; diese gibt zudem meist die Klassierung vor (z.B. Altersklassen). Dem Grund dafür, diese Kategorien im Rahmen der amtlichen Erhebungen zu Statistiken zusammenzuführen, liegt die Annahme zugrunde, dass die jeweiligen Klassen relevante Gemeinsamkeiten aufweisen: Gemeinsame Verhaltensweisen und Einstellungen zu diesem Verhalten. Mit der Ausdifferenzierung der Lebenslagen und Lebensstilen moderner Gesellschaften sind diese Gruppen zunehmend inhomogen und eignen sich immer weniger, um ein Mobilitätsverhalten zu beschreiben, zu erklären resp. um sie in Modellierungen zu verwenden.
 
  
===Altersklassen===
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Man geht in der Forschung davon aus, dass soziodemografische Gruppen gewisse Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer sozialen Lage und den damit verbundenen Möglichkeiten und Einschränkungen und daher sich ähnliche Einstellungen und Verhaltensweisen haben. Die Forschung orientiert sich dabei stark an den Merkmalen und Klassifizierungen aus der amtlichen Statistik, die für bestimmte administrativ definierte Flächen (vom Nationalstaat bis zum Zählsprengel) Informationen über die dortige Wohnbevölkerung liefert.
Alter ist eine „trickreiche“ Kategorie, weil sie die einzige ist, die sich permanent verändert. Jeder Mensch „rutscht“ irgendwann über eine statistisch vorgegebene Schwelle (40 Jahre) in eine neue Kategorie (> 40 bis 50 Jahre), ohne dass sich das Verhalten von einem auf den anderen Tag verändert. Zudem überlagert sich die Alterskategorie mit dem Kohortenbegriff, der „Generationen“ bestimmt. Damit sind zusammengefasste Geburtsjahrgänge gemeint, die sehr starken gemeinsamen Sozialisationserfahrungen zugeschrieben werden: Die Nachkriegs-Generation, die 68er, die X-, Y-, Z-Generation u.s.w. So hat es sich beispielsweise herausgestellt, dass ein Fehlen eines Pkw-Führerscheins bei Frauen kein Alters-, sondern ein Kohorteneffekt ist.
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Unter soziodemografischen Gruppen werden
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*Altersgruppen (entweder als „Jugendliche“ oder „ältere Menschen“ benannt oder nach Altersgruppen, meist in 18 Jahres-Abständen).
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*Geschlechtsgruppen (ursprünglich als Frauen-Männer dichotomisiert), aktuell meist als „Gender“ thematisiert (zur Differenzierung s.u.)
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*Haushaltsformen (differenziert nach Zahl der Personen, Zahl der erwachsenen Personen, Zahl der Kinder (differenziert nach Alter).
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*Nationalität, wobei die Unterscheidung zwischen „eigener“ und „fremder“ Nationalität aus unterschiedlichen Gründen relevant ist; seit ca. 15 Jahren wurde die Kategorie „Migrationshintergrund“ hinzugefügt (zur Begründung s.u.)
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===Alter===
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Wie eine Reihe empirischer Untersuchungen gezeigt hat, bilden Altersgruppen allenfalls Dummies für dahinterliegende Annahmen: Gesundheitlicher Zustand, Bedeutung für Erwerbssektor und das Rentensystem, sozialpolitische Überlegungen (beispielsweise für Jahrestickets im ÖPV. Doch sind in den jeweiligen Altersgruppen der Gesundheitszustand der Personen sehr unterschiedlich und die Erwerbsbeteiligung zunehmend uneinheitlich – dennoch werden beispielsweise Menschen, die älter als 60 Jahre sind, gleich behandelt.
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Für die Frage, wie eigenständig Menschen im höheren Alter noch mobil sein können, wird in der Regel nicht der reale Gesundheitszustand erhoben, sondern ersatzweise wird die Gruppe der über 60-/65-Jährigen in Teilgruppen unterteilt: „junge Alte“/dritte Lebensphase (60/65-75 Jahre) und Betagte/Hochbetagte/oldest old (>75 Jahre) als vierte Lebensphase. Dieser variiert innerhalb der Altersgruppen jedoch aufgrund insbesondere gesundheitlicher, aber auch mentaler Faktoren sehr stark.
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Die Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe ist also allenfalls ein grober Dummy für Strukturmerkmale und zudem kaum eine einheitliche Einstellungs- oder Handlungskategorie. Eine Möglichkeit besteht darin, innerhalb der Altersgruppen nach Milieu- oder Lebensstil-Kategorien oder nach der sozialen Lage (als Kombination aus sozialem Status und Familien-Typ) (s.u.) zu unterscheiden.
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*'''MiD Ergebnisbericht'''
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:Der Mobilität in Deutschland [http://www.mobilitaet-in-deutschland.de/pdf/MiD2017_Ergebnisbericht.pdf Ergebnisbericht] gibt Aufschluss über den Einfluss von Alter und anderen sozioökonomischen Faktoren auf das Mobilitätsverhalten.
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*'''Mobilitätsbezogene Einstellungen beim Übergang vom Kindes- ins Jugendlichenalter'''
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:Bastian (2010)<ref>Bastian, Thomas (2010): Mobilitätsbezogene Einstellungen beim Übergang vom Kindes- ins Jugendlichenalter. Querschnittliche Altersvergleiche bei 14- bis 16-Jährigen. Wiesbaden: Springer VS.</ref> hat sich mit der Konstituierung von mobilitätsbezogenen Einstellungen und Werthaltungen in der Frühadoleszenz (14 bis 16 Jahre) befasst.
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*'''Einfluss des elterlichen Mobilitätsverhaltens'''
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:Dass vor allem Kinder und Jugendliche auf das Mobilitätsverhalten ihrer Eltern reagieren und häufig dazu neigen, dieses zu übernehmen, ist durch unterschiedliche Studien (z.B. Baslington 2008<ref>Baslington, Hazel (2008): Travel Socialization: A Social Theory of Travel Mode Behavior. In: International Journal of Sustainable Transportation 2 (2): 91-141.</ref>, Flade & Limbourg o.J.<ref>Flade, Antje & Limbourg, Maria (o.J.): Das Hineinwachsen in die motorisierte Gesellschaft – Eine vergleichende Untersuchung von sechs deutschen Städten. https://www.uni-due.de/~qpd402/alt/texte.ml/FladeLimb.html.</ref>., Haustein et al. 2008<ref>Haustein, Sonja; Klöckner, Christian A. & Blöbaum, Anke (2008): Car use of young adults: The role of travel socialization. In: Transportation Research Part F – Traffic Psychology and Behaviour 12 (2):168-178.</ref>) belegt.
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===Geschlecht / Gender===
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Innerhalb jeder Gesellschaft bestehen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Hierbei ist aber zu unterscheiden zwischen den biologischen Eigenschaften (im engl. „sex“, lange als Dichotomie zwischen Frau und Mann angesehen, mittlerweile auch schrittweise als des „weder-noch“ resp. des „sowohl-als-auch“ der [https://de.wikipedia.org/wiki/Intersexualit%C3%A4t Intersexualität] rechtlich akzeptiert) und dem Umgang innerhalb der Gesellschaften mit den biologischen Unterschieden (engl. „gender“).
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Der gesellschaftliche Umgang
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*durch die Erwartungen an gesellschaftliche Rollen (Verteilung der Erwerbs- und Reproduktionsarbeit),
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*mit dem Verteilen von Privilegien (Zugänge zu Institutionen wie Schulen und Vereinen, Teilhabe an politischen Wahlen, etc.),
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*mit gesellschaftlichen Aufstiegschancen (Übergang vom Bildungssystem ins Erwerbssystem, berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, etc.) sowie
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*den Erwartungen an Verhaltensweisen
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bestimmt in starkem Maße die sozialen Ungleichheiten und gesellschaftlichen Benachteiligungsmuster durch die Kategorie „Geschlecht“.
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Im gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs werden beide Aspekte häufig vermischt: Es wird von „gender“ gesprochen, als Grundlage dienen jedoch biologisch definierte Menschen. In der amtlichen Statistik wird die Wohnbevölkerung ausschließlich nach biologischen Merkmalen definiert oder in Fragen der Gleichberechtigung wird eine „Frauenquote“ eingefordert, aber als „Genderfrage“ thematisiert.
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In der Verkehrsforschung wird grundsätzlich mit Kategorien „Frau“ und „Mann“ gearbeitet und dabei festgestellt, dass die Mobilitätsmuster und Wege(ketten) von Männer und Frauen unterscheiden: Männer haben im Alltag eher weniger, aber längere Wege und sind häufiger mit dem eigenen Pkw unterwegs als Frauen, die mehr Wege aufweisen, die kürzer sind und (zwangsweise?) eher intermodal bewältigt werden – das läuft dann aber fälschlicherweise unter „Genderforschung“. Darüber hinaus bleibt bei solchen Ergebnissen meist unerwähnt, dass die Heterogenität des Verkehrsverhaltens für Frauen deutlich höher liegt als bei Männern, da deren Rollenspektrum deutlich größer ist (von der kinderlosen voll Erwerbstätigen, über die halbtags arbeitende Alleinerziehende bis zur Mutter mit drei Kindern).
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Die Ursachen für die Unterschiede zwischen Männer und Frauen liegen also in Gender-Aspekten, nämlich den unterschiedlichen Rollenerwartungen an private, berufliche oder gesellschaftliche Verpflichtungen Es werden aber meist nur die Auswirkungen (Mobilitätsmuster) beschrieben, die Gründe (d.h. die Gender-Aspekte) werden in der Regel nicht analysiert, weil beispielsweise nur die Außer-Haus-Aktivitäten für die Verkehrsforschung relevant sind) (Knoll & Szalai 2009<ref>Knoll, Bente & Szalai, Elke (2009): Gender Gap im Verkehrs- und Mobilitätsbereich – Hintergrundbericht. Studie im Auftrag des VCÖ. Wien. https://www.mobilservice.ch/admin/data/files/news_section_file/file/2232/vcoe-studie-gender-gap-hintergrundbericht.pdf?lm=1418801165.</ref>).
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Es ist also das Ausmaß der privaten, beruflichen oder gesellschaftlichen Verpflichtungen in der Organisation des Alltages und der darin eingebetteten unterschiedlichen Rollenzuschreibungen für innerhäusliche und außerhäusliche Aktivitäten, die eher privat geregelt werden und in der Regel nicht Gegenstand der Mobilitätsforschung sind. Daher ist innerhalb der Verkehrsforschung eine wirkliche Genderforschung eher die Ausnahme (Konrad 2016<ref>Konrad, Kathrin (2016): Mobiler Alltag im Wandel des Geschlechterverhältnisses. Studien zur Mobilitäts- und Verkehrsforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11282-0_4.</ref>).
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====Projekte====
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=====Österreich=====
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*'''Broschüre „Gender Mainstreaming und Mobilität in Niederösterreich'''
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:Diese [https://www.noe.gv.at/noe/16674P_GenderMain_II_indd.pdf Broschüre "Gender Mainstreaming in Niederösterreich"] der Schriftenreihe des Niederösterreichischen Landesverkehrskonzepts gibt einen Überblick über den Unterschied zwischen Frauen und Männern in Bezug auf ihre Mobilität. Zudem wird dort die politisch fundierte Strategie des Gender Mainstreaming mit dem Thema Verkehr und Mobilität in Zusammenhang gebracht. Daten aus der Mobilitätserhebung des Jahres 2003 bilden die Grundlage für eine nach Geschlecht differenzierte Datenaufbereitung. Außerdem werden mehrere ''good-practice-Beispiele'' aus ganz Europa vorgestellt. Diese Broschüre hat die Genderdiskussion im Verkehrs- und Mobilitätsbereich in Niederösterreich in Gang gesetzt und ist Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen in diesem Bereich.
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*'''Forschungsprojekt und Publikation „Frauenwege - Männerwege“. Entwicklung von Methoden zur gendersensiblen Mobilitätserhebung'''
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:Das [https://www.b-nk.at/frauenwege-maennerwege-entwicklung-von-methoden-zur-gendersensiblen-mobilitaetserhebung/ Forschungsprojekt "Frauenwege - Männerwege. Entwicklung von Methoden zur gendersensiblen Mobilitätserhebung"] wurde vom österreichischen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie beauftragt. Dabei wurden gängige Methoden der Verkehrs- und Mobilitätserhebungen in Österreich analysiert, unter Genderaspekten beurteilt und bewertet. Zentrales Ergebnis war, dass in den bestehenden Studien zumeist nur bestimmte Alltagssituationen und Lebenszusammenhänge abgefragt wurden. So wurden in der Regel z.B. Aspekte des Mobilitätsverhaltens von Menschen mit Betreuungspflichten (oftmals Frauen) ausgeblendet.
  
==== PhantasiJA ====
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:Daher wurde ein ''gendersensibler Fragebogen'' entwickelt, mit dem Wegeketten, Wegezwecke und weiter Einflussfaktoren differenzierter erhoben werden können. Jedoch blieben die Fragen an die bestehenden Mobilitätserhebungen angelehnt, um eine gewisse Vergleichbarkeit sicherzustellen. Unter anderem stellte sich heraus, dass sowohl Frauen als auch Männer 40% ihrer Wege in Begleitung zurücklegen. Frauen werden dabei eher von Kindern, Männer eher von anderen Erwachsenen begleitet.
  
:AKTIV MOBIL: Ich mach mir die Welt, wide wide wie sie mir gefällt.
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*'''Der Gmoa-Bus in Pöttsching, Burgenland'''
:Innerhalb des Projektes [https://www2.ffg.at/verkehr/projekte.php?id=1256&lang=de&browse=programm PhantasiJA] erschaffen Jugendliche im Rahmen eines kreativen Arbeitsprozesses eine „PhanatsiJA-Stadt“, die auf die Nutzung aktiver Mobilitätsformen ausgerichtet ist und dabei auf die Bedürfnisse und Wünsche aller Altersgruppen abzielt. Es wird auf unkonventionelle Weise ein zukunftsorientiertes FTE-Konzept entwickelt, welches zur aktiven Personenmobilität beitragen wird.
 
  
===Geschlecht===
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:Das flexible Bus-Taxi verfügt über acht Sitzplätze und steht allen BewohnerInnen der Gemeinde nach telefonischer Voranmeldung zur Verfügung. Sie werden individuell von Haustür zu Haustür chauffiert. Dafür ist ein [https://www.poettsching.at/system/web/zusatzseite.aspx?detailonr=220134323 Entgelt] zu entrichten.
Die Statistik erfasst das biologische Geschlecht (meist noch in der traditionellen Dichotomie), nicht aber das soziale Geschlecht (‚gender‘), d.h. die Einstellungen, Rollenzuweisungen auf ganz unterschiedliche soziale Gruppen (auch Alter, Verwandtschafts-Relationen etc.), was letztlich das Mobilitätsverhalten beeinflusst – hier wird im Argumentieren leider viel vermischt. Mit einer Ausweitung der Rollen für Frauen, nicht zuletzt aufgrund verbesserter Bildung und höherer Erwerbsbeteiligung, hat sich gerade für Frauen das Mobilitätsverhalten deutlich ausdifferenziert (Hausfrauen, halbtags berufstätige alleinerziehende Mütter, berufstätige Alleinlebende). Aufgrund nach wie vor ungleicher Beteiligung von biologisch definierten Männern und Frauen an der bezahlten Erwerbsarbeit und der unbezahlten Reproduktionsarbeit ergeben sich strukturelle Benachteiligungen am Arbeitsmarkt und der Mobilität.
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:Der [https://www.stadtland.at/htm/aktuelles/pub-gmoa-kern-sk.pdf GmoaBus in Pöttsching] ist ein Erfolgsmodell und Vorzeigebeispiel für den ländlichen Raum, denn besonders in peripheren Gebieten fehlt es oftmals an dichten öffentlichen Verkehrsnetzen und die Möglichkeit, unterwegs zu sein, ist oft sehr eingeschränkt.
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:Diese innovative Lösung wurde mit Hilfe von zwei Planungsbüros und dem Bundeministerium für Verkehr, Innovation und Technologie entwickelt. Besonders Frauen standen im Fokus des Projektes, weil ein wichtiges Ziel darin bestand, Begleit- und Erledigungswege einfacher zu ermöglichen.
  
===Haushaltstyp===
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=====Schweiz=====
Die Bedeutung dieser Kategorie ist für die Verkehrs- und Mobilitätsforschung (im Gegensatz zur Wohnbauforschung) unklar. Die Zahl der Personen hat beispielsweise eine andere Relevanz als die Verteilung der Alltags-Aufgaben, die ggf. Wege erzeugen – das wird aber über die gender-Analyse abgedeckt (s.o.).
 
  
===Nationalität===
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*'''Planungsprozess „Bahnhofsplatz Bern - Fachfrauen gestalten mit"'''
Diese Kategorie ist für die Verkehrs- und Mobilitätsforschung völlig unklar und unterstellt eine Mischung aus einer ausländisch beeinflussten Sozialisation, aber unklaren Verhaltensaspekten. Was ist mit „Nationalität“ gemeint? Sprachschwierigkeiten – dann fällt es unter (-> [[Barrieren & Disparitäten#Kognitive Barrieren / digital divide|Kognitive Barrieren / digital divide]]); weniger Einkommen (-> [[Barrieren & Disparitäten#Sozioökonomische Disparitäten|Sozioökonomische Disparitäten]]); traditionelle Rollenmuster (Lenker und Beifahrerin?) (-> gender-Ungleichheiten). Zudem ist die Gemeinsamkeit einer Staatszugehörigkeit nur in Extremfällen ein homogenisierendes Maß, weil unterschiedliche soziale Lagen damit verbunden sein können.
 
  
===Migrationshintergrund===
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:Hauptverantwortlich für dieses Projekt war die sich aus verschiedenen Expertinnen zusammensetzende ''Fachfrauengruppe Bahnhofsplatz FFB''. Dabei kamen Expertinnen aus den Bereichen Planung, Architektur, Verkehr und Gleichstellung zusammen. Dies stellte ein Novum in der ansonsten sehr männerdominierten Planungswelt dar. Durch einen Beschluss des Stadtparlaments wurde sichergestellt, dass die Frauenfachgruppe das Projekt von Anfang an begleiten wird, wobei ihr gleichzeitig eine stärkere Gewichtung durch diesen politischen Beschluss verliehen wurde. Natalie Herren wurde mit der Bildung und Leitung der Gruppe beauftragt.
Diese Kategorie fasst alle Menschen zusammen, die selbst oder deren zumindest ein Elternteil außerhalb des Aufnahmelandes geboren wurde. Vor dem Hintergrund des Beschreibens ähnlicher Muster eine völlig unbrauchbare Kategorie, weil in ihr der Manager aus den USA, die Studentin aus den Niederlanden und ein Gelegenheitsarbeiter aus Afghanistan zusammengefasst werden.  
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:Zentrale Anliegen der Frauen waren unter anderem: ''Mitbestimmung/Partizipation, Wegführung, Orientierung, Belebung, Licht, Material und Erhaltung''. Eine attraktive und sichere Unterführung des Bahnkörpers mit gut einsehbaren Ein- und Ausgängen konnte somit errichtet werden.
  
===Zusammenfassend===
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=====Deutschland=====
Die soziodemografischen Kategorien der amtlichen Statistik sind kaum bis gar nicht dafür geeignet, Klassen gemeinsamer Einstellungen und Verhaltensweisen der Mobilität angemessen differenziert zu beschreiben. Die darauf aufbauenden Entscheidungen der planenden Verwaltungen und der Wissenschaft sind „auf Sand gebaut“ – dennoch werden sie relativ kritiklos auch in der Forschung verwendet.
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*'''Belange von Frauen / Gender Meinstreaming im ÖPNV in der Region Hannover'''
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:Das Projekt [https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Soziales/Frauen-und-Gleichstellung/Gender-Mainstreaming-in-der-Landeshauptstadt-Hannover/Gender-Mainstreaming-in-Hannover Gender Mainstreaming in Hannover] hat das strategische Ziel, die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern zu unterstützen.
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:Bereits seit den 1990er Jahren arbeitet das Bundesland Niedersachsen daran, die Anliegen von Frauen bei der Planung von Anlangen des öffentlichen Personenverkehrs zu berücksichtigen.
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:Im Jahr 2003 wurde festgeschrieben, das Nahverkehrspläne bestimmte Gesichtspunkte beinhalten müssen. Bestandsaufnahmen mit geschlechterspezifischen Datenerhebungen inkl. Mängelanalysen, Zielformulierungen zur Berücksichtigung des Versorgungs- und Freizeitverkehrs und Entwicklungen von gleichstellungsorientierten Maßnahmen.
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:Im Jahr 2008 wurde der Nahverkehrsplan um folgende Empfehlungen erweitert: Es wurden zeitlich besser koordinierte Fahrpläne erstellt, die besonders für frauentypische Arbeitsstätten und -zeiten (z.B. Krankenhäuser, Pflegeheime, Schichtbetriebe, etc.) ausgerichtet wurden. Zudem wurde das Netz dahingehend ausgebaut, dass die Fußwege verkürzt werden und die Sicherheit durch diverse infrastrukturelle Einrichtungen erhöht werden konnte. Tariflich wurde das ''Begleitticket'' angeboten und eine kostenfreie Fahrradmitnahme ermöglicht.
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*'''Verkehrssicherheit: Sicher mit Bus & Bahn in der Region Hannover'''
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:In Hannover existieren bereits verschiedene Maßnahmen zum Thema [https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Mobilit%C3%A4t/Bus-Bahn/Qualit%C3%A4t/Sicherheit/Sicher-mit-Bus-Bahn-was-tun-die-Ver%C2%ADkehrs%C2%ADun%C2%ADter%C2%ADnehmen Sicher mit Bus & Bahn]. Zentrales Thema ist die ''Gewalt im öffentlichen Raum'' zu verringern. Wird der öffentliche Personennahverkehr negativ eingeschätzt, äußert sich dies unter anderem in rückläufigen NutzerInnenzahlen. Von der Gewalt in öffentlichen Verkehrsräumen sind Frauen oder Minderheiten häufiger betroffen; daher werden diese - insbesondere zu Zeiten mit wenigen Mitreisenden - häufig gemieden.
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:Seit dem Jahr 1999 werden aus diesen Gründen auf die Mobilität und den Verkehr bezogene Leitlinien in der Region Hannover umgesetzt: Das generelle Wohlbefinden soll erhöht werden, wobei gleichzeitig die Zivilcourage gestärkt und trainiert wird.
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===Haushaltsform===
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Neben der sozialen Schicht (Einkommen, Bildung, berufliche Position, d.h. [http://changemobility.at/wiki/index.php?title=Soziale_Differenzierung_des_Verhaltens#Sozio.C3.B6konomische_Gruppen sozioökonomische Gruppen]) bestimmt die Haushaltsform die soziale Lage, d.h. die unterschiedlichen Möglichkeiten, mobil sein zu können, um den jeweiligen Alltag zu organisieren. Neben der Größe, spielt hierbei die Zusammensetzung der Haushalte eine wesentliche Rolle (Zahl der Erwachsenen, Zahl und Alter der Kinder), denn diese bilden Rahmenbedingungen für unterschiedliche Rollenverpflichtungen (s.o.) und den daraus ableitbaren mehr oder weniger engen zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Relevant hierfür ist –neben der Höhe der Einkommen – die Zahl der VerdienerInnen und für wie viele Personen das Geld reichen muss. Zeitressourcen hängen vor allem von den Verpflichtungen aufgrund der Sorge um die Kinder ab.
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Die Bedeutsamkeit der Haushaltseinkommen auf die Leistbarkeit von Mobilität in Österreich wurde im Rahmen des [https://mobilitaetderzukunft.at/resources/pdf/projektberichte/costs-bericht-leistbare-mobilitaet-in-oesterreich.pdf COSTS-Projektes] analysiert.
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===Nationalität / Migrationshintergrund===
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====Nationalität====
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Die Bedeutung der Kategorie „Nationalität“ ist für die Verkehrs- und Mobilitätsforschung völlig unklar und unterstellt eine Mischung aus einer ausländisch beeinflussten Sozialisation, aber unklaren Verhaltensaspekten. Was ist mit „Nationalität“ gemeint? Sprachschwierigkeiten – dann fällt es unter (-> [http://changemobility.at/wiki/index.php?title=Barrieren_%26_Disparit%C3%A4ten#Kognitive_Barrieren_.2F_digital_divide Kognitive Barrieren / digital divide]); weniger Einkommen (-> [http://changemobility.at/wiki/index.php?title=Barrieren_%26_Disparit%C3%A4ten#Sozio.C3.B6konomische_Disparit.C3.A4ten Sozioökonomische Disparitäten]); traditionelle Rollenmuster (Lenker und Beifahrerin?) (-> [http://changemobility.at/wiki/index.php?title=Verhaltenskategorien#Gender gender-Ungleichheiten]). Zudem ist die Gemeinsamkeit einer Staatszugehörigkeit nur in Extremfällen ein homogenisierendes Maß, weil unterschiedliche soziale Lagen und soziale Kulturen damit verbunden sein können.
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====Migrationshintergrund====
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Diese Kategorie fasst alle Menschen zusammen, die selbst oder deren zumindest ein Elternteil außerhalb des Aufnahmelandes geboren wurde. Diese Kategorie wurde in die amtliche Statistik aufgenommen, weil sich durch eine Einbürgerung zwar die Nationalität, nicht aber die Sozialisationseffekte durch zwei oft unterschiedliche Kulturen verändern. In Kombination mit der Nationalität verspricht man sich für die Integration und deren Barrieren ggf. Hinweise. In der Regel richtet sich das Interesse am Migrationshintergrund erst, wenn es sehr große normative Diskrepanzen zur Aufnahmegesellschaft ergeben (z.B. Flüchtlinge aus Zentralafrika oder Mittelasien).
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Als statistische Kategorie taugt sie jedoch für eine differenzierte Mobilitätsforschung überhaupt nicht, weil sich daraus keine gemeinsamen Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber der autochthonen Gesellschaft ergeben, denn in dieser Kategorie werden u.a. ein Manager aus den USA, die Studentin aus den Niederlanden und ein Gelegenheitsarbeiter aus Afghanistan zusammengefasst.
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Die Alltagsmobilität von MigrantInnen hat bislang daher wenig Beachtung innerhalb der wissenschaftlichen Bearbeitung in Österreich erhalten. Der ÖAMTC hat diesbezüglich 2014 jedoch eine [https://www.oeamtc.at/thema/verkehr/migrationshintergrund-alltagsmobilitaet-17964357 Studie zum Mobilitätsverhalten von Menschen mit Migrationshintergrund] veröffentlicht.
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=====Projekte=====
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*'''Mama fährt Rad'''
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:In Anlehnung an erfolgreiche Angebote wie ''Mama lernt Deutsch'' wurde in Wien das Pilotprojekt [https://www.fahrradwien.at/wp-content/uploads/2014/05/MfR-ENDBERICHT_final_EHMAYER.pdf ''Mama fährt Rad''] gestartet. Ziel war es, Migrantinnen die Möglichkeit zu geben, selbst aktiver unterwegs zu sein. Als zusätzlicher Effekt sollte durch das Fahrradfahren die Integration in die österreichische Gesellschaft unterstützt, die Kultur besser kennengelernt und gleichzeitig etwas für die Umwelt und die eigene Gesundheit getan werden. Weitere relevante Forschungsergebnisse zum Radfahren mit Migrantinnen sind [https://www.klimafonds.gv.at/wp-content/uploads/sites/6/Radfahren-verbindet112017.pdf hier] zu finden.
  
 
==Sozioökonomische Gruppen==
 
==Sozioökonomische Gruppen==
In einer über Märkte organisierten Gesellschaft spielt die Kaufkraft (für Fahrzeuge oder Wege) eine entscheidende Rolle. Das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen bestimmt im Wesentlichen die potenziellen Spielräume in den „Märkten“ und eben auch im Mobilitätsbereich. Die Kategorien Einkommen und Vermögen werden jedoch in der amtlichen Statistik nicht ausgewiesen, die jeweilige Erhebung ist tabuisiert und oftmals von „Peinlichkeiten“ gekennzeichnet, was zu höheren Verweigerungen der Angaben führt. Um diese Situation zu umgehen, wird oft der höchste Schulabschluss abgefragt, ein zunehmend schlechter Dummy in dem Maße, als der statistische Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Einkommen/Vermögen zunehmend schwächer wird.
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Unter sozioökonomischen Gruppen werden
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*Einkommens- und (seltener) Vermögensgruppen,
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*Bildungs- und Ausbildungsgruppen und
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*Gruppen nach ihrer Stellung im Beruf
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verstanden. Sie sind die Grundelemente für eine Unterscheidung nach [https://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Schicht sozialer Schicht] und sozialem Status.
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===Einkommens- und Vermögensgruppen===
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Einkommens- oder Vermögenskategorien sind in der Regel kein Bestandteil der Amtlichen Statistik. Lediglich die EU-weite Einkommens- und Verbrauchsstichprobe [https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/soziales/haushalts-einkommen/index.html  EU-SILC] (European Community Statistics on Income and Living Conditions) gibt u.a. über Durchschnittswerte und Verteilungen über die Kategorien von Einkommensklassen auf der Ebene der Bundesländer Auskunft. Diese Ergebnisse basieren auf relativ kleinen Stichproben in einem rollierenden Panel und sind räumlich nicht disaggregierbar. Die Daten der EU-SILC werden überwiegend für die Sozialstatistik und für die Armutsforschung verwendet.
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In einer marktbasierten Gesellschaft sind Einkommen und Vermögen zentrale Möglichkeiten, um sich Waren oder Dienstleistungen zu kaufen, zu leasen oder zu mieten – eben (mehrere) Fahrzeuge, Zeitkarten für den ÖPV, Sharing-Dienste oder Apps. Daher werden Einkommen in den meisten Verkehrs- und Mobilitätsstudien auch erhoben. Aufgrund der Tabuisierung des Aufdeckens eigener Einkommens- und Vermögensbedingungen sind solche Erhebungen durch eine höhere Verweigerung der Angaben oder deren Verfälschung (tendenziell immer zur Mitte) gekennzeichnet. Angaben zum Einkommen werden allerdings für untere Einkommen im Kontext der Erforschung der Mobilitätsarmut sinnvoll verwendet (Daubitz 2016<ref>Daubitz, Stephan (2016): Mobilitätsarmut: Die Bedeutung der sozialen Frage im Forschungs- und Politikfeld Verkehr. In: O. Schwedes, W. Canzler & A. Knie (Hg.) Handbuch Verkehrspolitik. Wiesbaden: Springer VS: 433-447. https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-04693-4_20.</ref>).
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===Bildungs- und Ausbildungsgruppen===
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Die Angaben über den höchsten Schulabschluss oder ob eine Berufsausbildung abgeschlossen ist resp. ob man noch in entsprechender Bildungs- und/oder Ausbildungsphase ist, werden in der Regel in Verkehrs- und Mobilitätsstudien ebenfalls erhoben – sehr häufig als Dummy für die Frage nach dem Einkommen. Damit soll zumindest der soziale Status abgebildet werden. Es ist aber sehr fraglich, welche Aussagekraft für die Erklärung mobilitätsrelevanter Einstellungen oder des Mobilitätsverhaltens diese Dimension hat, denn die vor allem die mittleren (Aus-)Bildungsklassen weisen oft eine höhere Binnen-Heterogenität auf als eine gegenüber anderen (Aus-)Bildungsklassen der Mitte. Die Erklärungskraft für Mobilitätsverhalten ist also sehr gering.
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===Stellung im Beruf===
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Das Merkmal „berufliche Position“, sowohl nach Arbeiter, Angestellte, Selbständige etc., als auch nach niedriger und höher innerhalb der Kategorien unterschieden, stammt ebenfalls aus der Schichtungstheorie, wird aber in der Verkehrs- und Mobilitätsforschung – aufgrund der niedrigen Erklärungskraft – nur in Ausnahmefällen angewandt.
  
 
==Soziokulturelle Gruppen==
 
==Soziokulturelle Gruppen==
In Kritik an der traditionellen Definition von Schichten, die sich an soziodemografischen und sozioökonomischen Kategorien orientiert, wurde die Aufmerksamkeit seit den 1970er Jahren auf die Bedeutung von soziokulturellen Kategorien für das Mobilitätsverhalten gerichtet. In diesem Zusammenhang ist von sozialen Milieus (Habitusformen) und Lebensstilen hier: „Mobilitätsstilen“ die Rede. Mit dem sozialen Milieu werden solche Klassierungen bezeichnet, die auf gemeinsamen Wertvorstellungen aufbauen, während Mobilitätsstile ein ähnliches Mobilitätsverhalten zum Ausdruck bringen. Das bedeutet, dass beide Kategorien zwar in einem kausalen, aber nicht deterministischen Verhältnis stehen. Im Gegensatz zu den bisher genannten Kategorien sind soziales Milieu nicht eindimensional definiert und sie finden sich auch nicht in amtlichen Statistiken. Sie werden in der Regel mittels der Kombination unterschiedlicher multivariater Verfahren aus einer Fülle von Merkmalsausprägungen gebildet.
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In der sozialwissenschaftlichen Ungleichheitsforschung und in der Marktforschung wurden seit den 1980er Jahren verstärkt Milieu- und Lebensstilforschungen und -projekte durchgeführt, um das zunehmend ausdifferenzierte Verhalten innerhalb moderner Gesellschaften verstehen, erklären und beeinflussen zu können. Während die '''Milieu-Modelle''' auf allgemeinen Werten und Einstellungen zu unterschiedlichen Bereichen des Alltags basieren, fassen Lebensstil-Modelle Menschen mit sehr ähnlichen Verhaltensweisen zusammen. Unter einem '''Mobilitätsstil''' werden solche Personen zusammengefasst, die ein ähnliches Mobilitätsverhalten zeigen.
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Im Gegensatz zu den [http://changemobility.at/wiki/index.php?title=Soziale_Differenzierung_des_Verhaltens#Sozio.C3.B6konomische_Gruppen sozioökonomischen] und [http://changemobility.at/wiki/index.php?title=Soziale_Differenzierung_des_Verhaltens#Soziodemographische_Gruppen soziodemografischen] Informationen, die im Rahmen der Amtlichen Statistik eindeutig definiert und klassiert werden, gibt es für die soziokulturellen Aspekte in der Marktforschung und der Verhaltensforschung bislang kein einheitliches Vorgehen hinsichtlich der zentralen Dimensionen, der Operationalisierung und des Zusammenfassens innerhalb multivariater statistischer Verfahren.
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Während die Marktforschungs-Institute ihre Vorgehensweise nur ansatzweise offenlegen (Betriebsgeheimnis), haben sich in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur die Ansätze von Gerhard Schulze (1992<ref>Schulze, Gerhard (1992): Die Erlebnisgesellschaft: Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt am Main & New York: Campus. </ref>, Michael Vester und seine MitarbeiterInnen (2001)<ref>Vester, Michael; von Oertzen, Peter; Geiling, Heiko; Hermann, Thomas & Müller, Dagmar (2001): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung. Frankfurt am Main: Suhrkamp. </ref> sowie Gunnar Otte (2004, 2005)<ref>Otte, Gunnar (2004): Sozialstrukturanalysen mit Lebensstilen. Eine Studie zur theoretischen und methodischen Neuorientierung der Lebensstilforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.</ref>, <ref>Otte, Gunnar (2005): Entwicklung und Test einer integrativen Typologie der Lebensführung für die Bundesrepublik Deutschland, In: Zeitschrift für Soziologie 34 (6): 442-467. </ref>, (der sei Milieumodell jedoch als Model des „Lebensstils“ resp. des „Lebensführungsstils“ bezeichnet) durchgesetzt. Teilweise beziehen sich die Marktforschungsinstitute auf diese und weitere theoretische Quellen (beispielsweise auf Bourdieu 1992<ref>Bourdieu, Pierre (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.</ref>).
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===SINUS-Milieus===
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In der Folge wird ein Modell aus der Marktwirtschaft vorgestellt, das sich in sehr unterschiedlichen Konsum- und Verhaltensbereichen bewährt hat und das in einigen FFG-geförderten Mobilitätsprojekten (u.a. [https://www.ait.ac.at/themen/integrated-mobility-systems/projects/promotion pro:motion] und [https://soziologie.tuwien.ac.at/wp-content/uploads/FFG-Bericht_RM.2.pdf mobility2know]) erfolgreich angewendet wurde (Dangschat 2018<ref>Dangschat, Jens S. (2018): Soziale Milieus in der Mobilitätsforschung. In: Barth, B.; Flaig, B.B.; Schäuble, N. & Tautscher, M. (Hrsg.): Praxis der Sinus-Milieus©. Wiesbaden: Springer VS: 139-154.</ref>).
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Das Marktforschungsinstitut SINUS hat zusammen mit INTEGRAL speziell für Österreich 10 Milieus definiert, mit welchen die Lebensstile der hiesigen Bevölkerung, aufgrund jahrelanger Markt- und sozialwissenschaftlicher Forschung abgebildet werden. Die einzelnen Milieus werden in ihrer Charakteristik [https://www.sinus-institut.de/sinus-milieus/sinus-milieus-oesterreich hier] näher beschrieben.
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[[File:Sinus-Milieus_in_Österreich.png|thumb|Sinus-Milieus in Österreich]]
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Die zehn SINUS-Milieus© sind in ein Koordinatensystem eingebunden, die auf der x-Achse das traditionelle Schichtungsmodell und auf der y-Achse spezifische Wertvorstellungen abbildet, die sich (von links nach rechts) zunehmend in der Gesellschaft in Österreich herausgebildet haben. Die Milieus fassen Menschen mit ähnlichen Auffassungen und Wertvorstellungen (zustimmend oder ablehnend) zusammen. Es lassen sich auf diese Weise „real existierende“ Lebenswelten abbilden.
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===Der Milieu-Ansatz in der Mobilitätsforschung===
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Innerhalb des Projektes [https://soziologie.tuwien.ac.at/wp-content/uploads/FFG-Bericht_RM.2.pdf''mobility2know_4_ways2go'']  wurden die SINUS-Milieus erstmalig in einem Mobilitätsprojekt in Österreich angewendet und hinsichtlich der Erklärungskraft unterschiedlicher Aspekte des Mobilitätsverhaltens gegenüber den klassischen sozioökonomischen und soziodemografischen Typologien sowie einer sehr differenzierten Raumkategorie (aus über 50 Indikatoren der Erreichbarkeit wesentlicher Einrichtungen) getestet. 
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[[File:Erklärungsmodell_des_Verhaltens_.png|thumb|''Erklärungsmodell des Verhaltens aus Kategorien sozialer Ungleichheit, sozialer Milieus, Lebens- und Mobilitätsstilen und des Raumes'' &copy; Jens S. Dangschat]]
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==Verhaltenshomogene Gruppen / Mobilitätsstile==
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Schon in den 1970er Jahren hatte der Verkehrsforscher Kutter (1973)<ref>Kutter, Eckhard (1973): Aktionsbereiche des Stadtbewohners. Untersuchungen zur Bedeutung der territorialen Komponente im Tagesablauf der städtischen Bevölkerung. In: Archiv für Kommunalwissenschaften, Heft 12: 69-85.</ref> den Versuch unternommen, aus der sichtbaren Alltagsmobilität „verhaltenshomogene Gruppen“ abzuleiten. Neben der Erwerbstätigkeit, die damals noch stark „voll erwerbstätig“ (mit noch über acht Stunden Arbeitszeit pro Tag resp. Samstag als Arbeitstag) und „nicht erwerbstätig“ polarisiert war, waren diese Gruppen jedoch hinsichtlich der strukturellen Merkmalen oftmals sehr heterogen.
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Im sozialwissenschaftlichen Bereich haben sich Konrad Götz und seine MitarbeiterInnen (2016)<ref>Götz, Konrad; Deffner, Jutta & Klinger, Thomas (2016): Mobilitätsstile und Mobilitätskulturen – Erklärungspotenziale, Rezeption und Kritik. In: Schöller, O.; Canzler, W. & Knie, A. (Hrsg.): Handbuch Verkehrspolitik. Wiesbaden: VS – Verlag für Sozialwissenschaften: 781-804.</ref> intensiv mit Mobilitätsstilen befasst und dezidiert beschrieben, mit welchen methodischen Schritten sie zu ihrer Typologie gelangen. Für die Methodik gibt es jedoch bislang kein normiertes Vorgehen (Art und Anzahl der Subdimensionen, Operationalisierung und Messung der einzelnen Indikatoren, Verrechnungsmodus, Art und Kombination statistischer Verfahren). Zudem führen die Analysen zu sehr pauschale Typologien („überzeugter Autofahrer“, „leidenschaftlicher Fahrradfahrer“) und/oder sind die Ergebnisse stark von der Stichprobe selbst abhängig; daher sind Verallgemeinerungen kaum zulässig.
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Der Sozialpsychologe Marcel Hunecke hat sich in mehreren Forschungsprojekten (u.a. [https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/3105/file/3105_MOBILANZ.pdf MOBILANZ]) mit den psychologischen und sozialen Aspekten der Erforschung der Mobilitätsstile befasst.
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Das Zukunftsinstitut hat zusammen mit dem ADAC e.V. eine [https://www.zukunftsinstitut.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Auftragsstudien/ADAC_Mobilitaet2040_Zukunftsinstitut.pdf Typologie der Mobilitätsgesellschaft von morgen] erarbeitet. Durch die starke Individualisierung der Gesellschaft wird bis zum Jahr 2040 ein vielseitiges Spektrum mit unterschiedlichen Ansprüchen, Gewohnheiten und Notwendigkeiten erwartet. Aus den Überlegungen heraus werden neun Mobilitätsstile definiert, welche die Mobilität der Zukunft entscheidend prägen werden.
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==Informationsbedürfnisgruppen==
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Im FFG-geförderten Projekt [https://www.ait.ac.at/themen/integrated-mobility-systems/projects/promotion pro:motion] hat in einem [https://mobilitaetderzukunft.at/resources/pdf/projektberichte/promotion-bericht-empirische-entwicklung-der-typologie.pdf Bericht] Möglichkeiten zur Förderung von aktiver Mobilität durch Zielgruppenorientierung und -motivation beschrieben. Unter der Einbeziehung von sozialwissenschaftlichen Ansätzen wurde versucht, möglichst homogene Gruppen zu identifizieren, die bestimmte Informationen benötigen, um besonders auf ein Angebot anzusprechen. Argumente wie ''Gesundheit'', ''Umwelt'', ''Kosten'', ''Image'', oder ''Erlebnis'' wurden im Rahmen der Befragung ermittelt. Dabei sind folgende Typologien nach ihren Informationsbedürfnissen hervorgegangen:
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'''Spontan - On the Go'''
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Diese Gruppe ist durch hohe Schnelligkeit und Spontanität gekennzeichnet, mit welcher sie Informationen erwarten, aufnehmen und verarbeiten. Sie sind vergleichsweise ungeduldig und wollen präzise Informationen, da sie meist erst unterwegs die Reiseroute im Detail planen. Mittels mehrerer Apps werden diese Informationen am Smartphone abgefragt, Papier und Internetbrowser werden kaum verwendet. Durch einen mobilen, flexiblen und nicht von Routinen behafteten Lebensstil ist diese Gruppe täglich auf viele Informationen angewiesen.
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'''Hoch informierte Nachhaltigkeit'''
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Personen dieser Gruppe suchen bzw. rezipieren verkehrs- bzw. mobilitätsbezogene Informationen proaktiv. Sie befassen sich ausführlich mit aktuellen Angelegenheiten und Themen. Sie unterscheiden bezüglich ihres Informationsbedürfnisses zwischen alltäglich relevanten Informationen auf der einen Seite und Information, die zum Aufbau bzw. zur Erhaltung ihres Hintergrundwissens dienen, auf der anderen. Erstere werden ähnlich wie bei der ''Spontan – On the Go''-Gruppe schnell und unkompliziert erwartet. Für tiefergehende Information, die ihrem Hintergrundwissen dienen, sind Menschen dieses Typus gerne bereit, längere Zeit zu investieren.
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'''Effizienz-Orientiert'''
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Effizienz orientierte Verkehrsteilnehmer nehmen ausschließlich Informationen auf, die sie selbst zur Erfüllung eines bestimmten Ziels brauchen. Ähnlich wie die ''Spontan – On the Go''-Gruppe und die Gruppe der Hoch informierten Nachhaltigkeit benötigt auch diese Gruppe eine Vielzahl an Informationen und erhält diese meist ebenso via Smartphone oder anderer moderner digitaler Kanäle. Im Unterscheid zur ersten Gruppe sind diese etwas geduldiger.
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'''Interessiert-Konservativ'''
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Personen des Informationsverhaltenstypus ''Interessiert-Konservativ'' benötigen für ihre alltäglichen Wege nur ein eher durchschnittliches Ausmaß an Informationen. Bei längeren Wegen oder Urlaubsreisen ist dieser Bedarf jedoch deutlich höher. Auch die Art und Weise der Informationsabfrage ist bei dieser Gruppe anders: Sie bevorzugt größtenteils eine vor dem Weg ausgedruckte Information. Smartphones und digitale Kanäle stehen zwar zur Verfügung, werden aber nur selten für mobilitäts- bzw. verkehrsrelevante Informationsabfragen genutzt. Sie können allgemein als umweltfreundlich und nachhaltig denkend charakterisiert werden.
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'''Niedriger Informationsbedarf'''
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Diese Gruppe definiert sich durch ihren geringen Informationsbedarf. Sowohl subjektiv als auch objektiv betrachtet, benötigen Personen dieser Gruppe wenige mobilitäts- bzw. verkehrsrelevante Informationen. Dies ist vor allem durch ein gleichbleibendes Mobilitätsverhalten in kleinräumiger Umgebung und eine geringe Bereitschaft gekennzeichnet, das Mobilitätsverhalten zu ändern. Mit digitalen Informationstechnologien ist diese Gruppe durchaus vertraut, setzt aber bei der tatsächlichen Mobilitätsabfrage oft auf persönlichen Kontakt in ihrem direkten, kleinräumig stabilen Umfeld.
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'''Digital Illiterates'''
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''Digital Illiterates'' benötigen keine oder nur sehr wenige mobilitäts- bzw. verkehrsrelevante Informationen. Zum einen wollen Angehörige dieser Gruppe ihr vertrautes Mobilitätsverhalten nicht mehr verändern, da sie sich auch überwiegend auf bekannten Wegen innerhalb eines vertrauten Umfelds bewegen. Zum anderen sind einige von ihnen in ihrer Mobilität aufgrund von ökonomischen, gesundheitlichen oder auch anderen Gründen eingeschränkt. Man verlässt sich in dieser Gruppe eher auf die Hilfe anderer, als dass man sich aktiv die Informationen selbst verschafft. Die ''Digital Illiterates'' sind nicht sehr tech-affin und weniger mit Apps und digitalen Services vertraut.
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==Veränderungen auf individueller Ebene (Wandel im Lebenszyklus, Umzug)==
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Ein anderer Zugang der Klassifikation ist, die Veränderungen des Mobilitätsverhaltens im Laufe eines Lebens auf ihren „Auslöser“ hin zu analysieren. Einschneidende Lebensereignisse wie Umzug, Geburt, Trennung/Scheidung, Führerscheinerwerb wirken sich sehr häufig auf das Mobilitätsverhalten der betroffenen Personen aus. In der Regel steht die Frage im Mittelpunkt, ob in diesem Kontext ein Pkw an- oder abgeschafft wurde.
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===Verhaltensänderungsphasen===
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In der traditionellen Demographie ist man davon ausgegangen, dass Menschen im Verlauf ihres Lebens bestimmte Phasen durchlaufen: Kindheit, Jugend, Elternschaft, Kinder aus dem Haus, Witwe/Witwer. Gesellschaftliche Ausdifferenzierung und der Wertewandel haben durch zunehmende Kinderlosigkeit, Scheidungen/Trennungen, Wiederheirat dazu geführt, dass man nicht mehr an die Allgemeingültigkeit eines „Standard-Normal-Lebenszyklus“, d.h. einer geregelten linearen Abfolge der Phasen ausgeht. Mobilitätsforschende gehen davon aus, dass gerade in Phasenübergängen aufgrund von Umzügen Wohnstandort- und Mobilitäts-Präferenzen wirksam werden, die einander bedingen (Scheiner & Holz-Rau 2015<ref>Scheiner, Joachim & Holz-Rau, Christian (2012): Changes in travel mode use after residential relocation: A contribution to mobility biographies. In: Transportation 40 (2): 431–58.</ref>).
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Lisa Döring (2015)<ref>Döring, Lisa (2015): Biografieeffekte und intergenerationale Sozialisationseffekte in Mobilitätsbiografien. Wiesbaden. Springer VS.</ref> beschreibt unterschiedliche biografische Effekte auf die Mobilitätsbiografie als Abbild des individuellen Mobilitätsverhaltens im Lebensverlauf. Dabei steht die Mobilitätsbiografie in einer Wechselwirkung mit anderen Teilbiografien (beispielsweise Haushalts-, Erwerbs- oder Ausbildungsbiografie). Eine Mobilitätsbiografie wird jedoch nicht ausschließlich von individuellen Faktoren beeinflusst, sondern räumliche (Erreichbarkeit), technische (Verkehrssystem), politische, zeitliche und soziale Rahmenbedingungen, sowie die Biografien von Angehörigen können das eigene Mobilitätsverhalten im Laufe des Lebens verändern.
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*'''Von der Biografie zur Multigrafie'''
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[[File:Multigrafie.jpg|thumb|Von der Biografie zur Multigrafie]]
  
==Potenzial für verschiedene Verkehrsmittelnutzung==
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:Das Zukunftsinstitut hat zusammen mit dem ADAC e.V. eine [https://www.zukunftsinstitut.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Auftragsstudien/ADAC_Mobilitaet2040_Zukunftsinstitut.pdf Typologie der Mobilitätsgesellschaft von morgen] erarbeitet. Darin wird unter anderem auf die immer Individueller werdenden Lebensläufe der Menschen eingegangen. Mittels der Überschrift ''Von der Biografie zur Multigrafie'' (siehe Abbildung rechts) soll die sprunghafte und teils unvorhersehbare Entwicklung von verschiedenen Personen in der heutigen Zeit skizziert werden. Aus einem klassischen dreiphasigen Lebensablauf wird eine ''flexible Lebensführung''. Damit einhergehend verschieben sich natürlich auch die Bedürfnisse, Motivationen und Erwartungen der VerkehrsteilnehmerInnen.
Eine weitere Möglichkeit ist, Personen danach zusammenzufassen, welche Verkehrsmittel sie nutzen können. Dabei wurde ursprünglich lediglich das Eigentum erfasst (Anzahl an Pkw im Haushalt), heute wird auch erfasst, ob man beispielsweise auch auf einen Pkw im Freundes- und Bekanntenkreis verfügen kann. Zusätzlich wird der Besitz von Zeitkarten des öffentlichen Verkehrs erfasst.
 
  
Siehe auch: [[Identifizieren und beeinflussen der Zielgruppen]]
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==Einzelnachweise==

Aktuelle Version vom 9. Dezember 2021, 17:21 Uhr

Menschen unterscheiden sich häufig in ihrem Verhalten, auch wenn sie in ähnlichen sozialen und sozialräumlichen Kontexten agieren (s. Behaviorismus). Wie groß das Spektrum des Verhaltes sein kann, hängt von den „Spielräumen“ ab, die als finanzielle oder zeitliche Ressource angesehen werden können oder als normative Hinweise wie „Hausordnungen“, Gesetze und Verordnungen. In modernen und wohlhabenden Gesellschaften geht man davon aus, dass die „Spielräume“ größer sind und Interessen und Zielsetzungen sich im Rahmen des Wertewandels ausdifferenzieren (Wertevielfalt). Ein Grund hierfür besteht darin, dass traditionelle Institutionen, die Werte vorgeben (Religion, Gewerkschaften, politische Parteien, traditionelle Medien) an Bedeutung verlieren. An die Stelle traditioneller Milieus mit entsprechenden Werten (vor allem unter den älteren Menschen) treten zunehmend Faktoren wie Individualität, Flexibilität und neue soziale Schließungen entlang von zusammengebastelten Werte-Konglomeraten, die insbesondere über die „neuen“ sozialen Medien gestärkt werden (Echokammern). Diese, eher von den jungen Erwachsenen getragenen Werte bestimmen zunehmend die Erwerbsarbeit, aber auch die privaten Beziehungen.

Aber selbst bei engen und verpflichtenden Rahmenbedingungen kommen abweichende Verhaltensweisen vor: Überschreitung der Richtgeschwindigkeit auf Autobahnen; falsches Tragen des Mund-Nasen-Schutzes in öffentlichen Verkehrsmitteln, etc. In der Verkehrsforschung geht man häufig von „Durchschnitts-BürgerInnen“ (= alle Menschen handeln immer in gleicher, durchschnittlicher Weise) oder von „immer rational handelnden Menschen“ aus (immer schnell und preisgünstig von A nach B) (z.B. in Modellierungen), dann ist es wahrscheinlich, dass es einige Menschen gibt, die sich nicht wie erwartet verhalten, was dann als Rebound-Effekt eingeordnet wird. Je enger der gesteckte Rahmen ist, umso eher verhalten sich alle Menschen gleich, denn die meisten halten sich an die Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn. Sind jedoch die „Spielräume“ größer – beispielsweise bei der Verkehrsmittelwahl in Großstädten –, dann hängt das Mobilitätsverhalten sehr stark von Persönlichkeitsmerkmalen ab.

Auf dieser Seite werden daher gängige Typologien vorgestellt, die innerhalb der Verkehrs- und Mobilitätsforschung benutzt werden, um ein unterschiedliches Mobilitätsverhalten zu beschreiben und zu erklären. Diese Typologien bilden wegen ihrer „Gemeinsamkeiten innerhalb der gesellschaftlichen Vielfalt“ auch die Grundlagen dafür, Zielgruppen für differenzierte Informationskampagnen, Beteiligungsformate, Anreizsysteme etc. zu definieren und ggf. das Verhalten von bestimmten sozialen Gruppen zu beeinflussen (beispielsweise, um die Verkehrs- und Mobilitätswende einleiten und unterstützen zu können).

Soziodemographische Gruppen

Man geht in der Forschung davon aus, dass soziodemografische Gruppen gewisse Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer sozialen Lage und den damit verbundenen Möglichkeiten und Einschränkungen und daher sich ähnliche Einstellungen und Verhaltensweisen haben. Die Forschung orientiert sich dabei stark an den Merkmalen und Klassifizierungen aus der amtlichen Statistik, die für bestimmte administrativ definierte Flächen (vom Nationalstaat bis zum Zählsprengel) Informationen über die dortige Wohnbevölkerung liefert.

Unter soziodemografischen Gruppen werden

  • Altersgruppen (entweder als „Jugendliche“ oder „ältere Menschen“ benannt oder nach Altersgruppen, meist in 18 Jahres-Abständen).
  • Geschlechtsgruppen (ursprünglich als Frauen-Männer dichotomisiert), aktuell meist als „Gender“ thematisiert (zur Differenzierung s.u.)
  • Haushaltsformen (differenziert nach Zahl der Personen, Zahl der erwachsenen Personen, Zahl der Kinder (differenziert nach Alter).
  • Nationalität, wobei die Unterscheidung zwischen „eigener“ und „fremder“ Nationalität aus unterschiedlichen Gründen relevant ist; seit ca. 15 Jahren wurde die Kategorie „Migrationshintergrund“ hinzugefügt (zur Begründung s.u.)

Alter

Wie eine Reihe empirischer Untersuchungen gezeigt hat, bilden Altersgruppen allenfalls Dummies für dahinterliegende Annahmen: Gesundheitlicher Zustand, Bedeutung für Erwerbssektor und das Rentensystem, sozialpolitische Überlegungen (beispielsweise für Jahrestickets im ÖPV. Doch sind in den jeweiligen Altersgruppen der Gesundheitszustand der Personen sehr unterschiedlich und die Erwerbsbeteiligung zunehmend uneinheitlich – dennoch werden beispielsweise Menschen, die älter als 60 Jahre sind, gleich behandelt.

Für die Frage, wie eigenständig Menschen im höheren Alter noch mobil sein können, wird in der Regel nicht der reale Gesundheitszustand erhoben, sondern ersatzweise wird die Gruppe der über 60-/65-Jährigen in Teilgruppen unterteilt: „junge Alte“/dritte Lebensphase (60/65-75 Jahre) und Betagte/Hochbetagte/oldest old (>75 Jahre) als vierte Lebensphase. Dieser variiert innerhalb der Altersgruppen jedoch aufgrund insbesondere gesundheitlicher, aber auch mentaler Faktoren sehr stark.

Die Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe ist also allenfalls ein grober Dummy für Strukturmerkmale und zudem kaum eine einheitliche Einstellungs- oder Handlungskategorie. Eine Möglichkeit besteht darin, innerhalb der Altersgruppen nach Milieu- oder Lebensstil-Kategorien oder nach der sozialen Lage (als Kombination aus sozialem Status und Familien-Typ) (s.u.) zu unterscheiden.

  • MiD Ergebnisbericht
Der Mobilität in Deutschland Ergebnisbericht gibt Aufschluss über den Einfluss von Alter und anderen sozioökonomischen Faktoren auf das Mobilitätsverhalten.
  • Mobilitätsbezogene Einstellungen beim Übergang vom Kindes- ins Jugendlichenalter
Bastian (2010)[1] hat sich mit der Konstituierung von mobilitätsbezogenen Einstellungen und Werthaltungen in der Frühadoleszenz (14 bis 16 Jahre) befasst.
  • Einfluss des elterlichen Mobilitätsverhaltens
Dass vor allem Kinder und Jugendliche auf das Mobilitätsverhalten ihrer Eltern reagieren und häufig dazu neigen, dieses zu übernehmen, ist durch unterschiedliche Studien (z.B. Baslington 2008[2], Flade & Limbourg o.J.[3]., Haustein et al. 2008[4]) belegt.

Geschlecht / Gender

Innerhalb jeder Gesellschaft bestehen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Hierbei ist aber zu unterscheiden zwischen den biologischen Eigenschaften (im engl. „sex“, lange als Dichotomie zwischen Frau und Mann angesehen, mittlerweile auch schrittweise als des „weder-noch“ resp. des „sowohl-als-auch“ der Intersexualität rechtlich akzeptiert) und dem Umgang innerhalb der Gesellschaften mit den biologischen Unterschieden (engl. „gender“).

Der gesellschaftliche Umgang

  • durch die Erwartungen an gesellschaftliche Rollen (Verteilung der Erwerbs- und Reproduktionsarbeit),
  • mit dem Verteilen von Privilegien (Zugänge zu Institutionen wie Schulen und Vereinen, Teilhabe an politischen Wahlen, etc.),
  • mit gesellschaftlichen Aufstiegschancen (Übergang vom Bildungssystem ins Erwerbssystem, berufliche Aufstiegsmöglichkeiten, etc.) sowie
  • den Erwartungen an Verhaltensweisen

bestimmt in starkem Maße die sozialen Ungleichheiten und gesellschaftlichen Benachteiligungsmuster durch die Kategorie „Geschlecht“.

Im gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs werden beide Aspekte häufig vermischt: Es wird von „gender“ gesprochen, als Grundlage dienen jedoch biologisch definierte Menschen. In der amtlichen Statistik wird die Wohnbevölkerung ausschließlich nach biologischen Merkmalen definiert oder in Fragen der Gleichberechtigung wird eine „Frauenquote“ eingefordert, aber als „Genderfrage“ thematisiert.

In der Verkehrsforschung wird grundsätzlich mit Kategorien „Frau“ und „Mann“ gearbeitet und dabei festgestellt, dass die Mobilitätsmuster und Wege(ketten) von Männer und Frauen unterscheiden: Männer haben im Alltag eher weniger, aber längere Wege und sind häufiger mit dem eigenen Pkw unterwegs als Frauen, die mehr Wege aufweisen, die kürzer sind und (zwangsweise?) eher intermodal bewältigt werden – das läuft dann aber fälschlicherweise unter „Genderforschung“. Darüber hinaus bleibt bei solchen Ergebnissen meist unerwähnt, dass die Heterogenität des Verkehrsverhaltens für Frauen deutlich höher liegt als bei Männern, da deren Rollenspektrum deutlich größer ist (von der kinderlosen voll Erwerbstätigen, über die halbtags arbeitende Alleinerziehende bis zur Mutter mit drei Kindern).

Die Ursachen für die Unterschiede zwischen Männer und Frauen liegen also in Gender-Aspekten, nämlich den unterschiedlichen Rollenerwartungen an private, berufliche oder gesellschaftliche Verpflichtungen Es werden aber meist nur die Auswirkungen (Mobilitätsmuster) beschrieben, die Gründe (d.h. die Gender-Aspekte) werden in der Regel nicht analysiert, weil beispielsweise nur die Außer-Haus-Aktivitäten für die Verkehrsforschung relevant sind) (Knoll & Szalai 2009[5]).

Es ist also das Ausmaß der privaten, beruflichen oder gesellschaftlichen Verpflichtungen in der Organisation des Alltages und der darin eingebetteten unterschiedlichen Rollenzuschreibungen für innerhäusliche und außerhäusliche Aktivitäten, die eher privat geregelt werden und in der Regel nicht Gegenstand der Mobilitätsforschung sind. Daher ist innerhalb der Verkehrsforschung eine wirkliche Genderforschung eher die Ausnahme (Konrad 2016[6]).

Projekte

Österreich
  • Broschüre „Gender Mainstreaming und Mobilität in Niederösterreich
Diese Broschüre "Gender Mainstreaming in Niederösterreich" der Schriftenreihe des Niederösterreichischen Landesverkehrskonzepts gibt einen Überblick über den Unterschied zwischen Frauen und Männern in Bezug auf ihre Mobilität. Zudem wird dort die politisch fundierte Strategie des Gender Mainstreaming mit dem Thema Verkehr und Mobilität in Zusammenhang gebracht. Daten aus der Mobilitätserhebung des Jahres 2003 bilden die Grundlage für eine nach Geschlecht differenzierte Datenaufbereitung. Außerdem werden mehrere good-practice-Beispiele aus ganz Europa vorgestellt. Diese Broschüre hat die Genderdiskussion im Verkehrs- und Mobilitätsbereich in Niederösterreich in Gang gesetzt und ist Ausgangspunkt für weitere Entwicklungen in diesem Bereich.
  • Forschungsprojekt und Publikation „Frauenwege - Männerwege“. Entwicklung von Methoden zur gendersensiblen Mobilitätserhebung
Das Forschungsprojekt "Frauenwege - Männerwege. Entwicklung von Methoden zur gendersensiblen Mobilitätserhebung" wurde vom österreichischen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie beauftragt. Dabei wurden gängige Methoden der Verkehrs- und Mobilitätserhebungen in Österreich analysiert, unter Genderaspekten beurteilt und bewertet. Zentrales Ergebnis war, dass in den bestehenden Studien zumeist nur bestimmte Alltagssituationen und Lebenszusammenhänge abgefragt wurden. So wurden in der Regel z.B. Aspekte des Mobilitätsverhaltens von Menschen mit Betreuungspflichten (oftmals Frauen) ausgeblendet.
Daher wurde ein gendersensibler Fragebogen entwickelt, mit dem Wegeketten, Wegezwecke und weiter Einflussfaktoren differenzierter erhoben werden können. Jedoch blieben die Fragen an die bestehenden Mobilitätserhebungen angelehnt, um eine gewisse Vergleichbarkeit sicherzustellen. Unter anderem stellte sich heraus, dass sowohl Frauen als auch Männer 40% ihrer Wege in Begleitung zurücklegen. Frauen werden dabei eher von Kindern, Männer eher von anderen Erwachsenen begleitet.
  • Der Gmoa-Bus in Pöttsching, Burgenland
Das flexible Bus-Taxi verfügt über acht Sitzplätze und steht allen BewohnerInnen der Gemeinde nach telefonischer Voranmeldung zur Verfügung. Sie werden individuell von Haustür zu Haustür chauffiert. Dafür ist ein Entgelt zu entrichten.
Der GmoaBus in Pöttsching ist ein Erfolgsmodell und Vorzeigebeispiel für den ländlichen Raum, denn besonders in peripheren Gebieten fehlt es oftmals an dichten öffentlichen Verkehrsnetzen und die Möglichkeit, unterwegs zu sein, ist oft sehr eingeschränkt.
Diese innovative Lösung wurde mit Hilfe von zwei Planungsbüros und dem Bundeministerium für Verkehr, Innovation und Technologie entwickelt. Besonders Frauen standen im Fokus des Projektes, weil ein wichtiges Ziel darin bestand, Begleit- und Erledigungswege einfacher zu ermöglichen.
Schweiz
  • Planungsprozess „Bahnhofsplatz Bern - Fachfrauen gestalten mit"
Hauptverantwortlich für dieses Projekt war die sich aus verschiedenen Expertinnen zusammensetzende Fachfrauengruppe Bahnhofsplatz FFB. Dabei kamen Expertinnen aus den Bereichen Planung, Architektur, Verkehr und Gleichstellung zusammen. Dies stellte ein Novum in der ansonsten sehr männerdominierten Planungswelt dar. Durch einen Beschluss des Stadtparlaments wurde sichergestellt, dass die Frauenfachgruppe das Projekt von Anfang an begleiten wird, wobei ihr gleichzeitig eine stärkere Gewichtung durch diesen politischen Beschluss verliehen wurde. Natalie Herren wurde mit der Bildung und Leitung der Gruppe beauftragt.
Zentrale Anliegen der Frauen waren unter anderem: Mitbestimmung/Partizipation, Wegführung, Orientierung, Belebung, Licht, Material und Erhaltung. Eine attraktive und sichere Unterführung des Bahnkörpers mit gut einsehbaren Ein- und Ausgängen konnte somit errichtet werden.
Deutschland
  • Belange von Frauen / Gender Meinstreaming im ÖPNV in der Region Hannover
Das Projekt Gender Mainstreaming in Hannover hat das strategische Ziel, die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern zu unterstützen.
Bereits seit den 1990er Jahren arbeitet das Bundesland Niedersachsen daran, die Anliegen von Frauen bei der Planung von Anlangen des öffentlichen Personenverkehrs zu berücksichtigen.
Im Jahr 2003 wurde festgeschrieben, das Nahverkehrspläne bestimmte Gesichtspunkte beinhalten müssen. Bestandsaufnahmen mit geschlechterspezifischen Datenerhebungen inkl. Mängelanalysen, Zielformulierungen zur Berücksichtigung des Versorgungs- und Freizeitverkehrs und Entwicklungen von gleichstellungsorientierten Maßnahmen.
Im Jahr 2008 wurde der Nahverkehrsplan um folgende Empfehlungen erweitert: Es wurden zeitlich besser koordinierte Fahrpläne erstellt, die besonders für frauentypische Arbeitsstätten und -zeiten (z.B. Krankenhäuser, Pflegeheime, Schichtbetriebe, etc.) ausgerichtet wurden. Zudem wurde das Netz dahingehend ausgebaut, dass die Fußwege verkürzt werden und die Sicherheit durch diverse infrastrukturelle Einrichtungen erhöht werden konnte. Tariflich wurde das Begleitticket angeboten und eine kostenfreie Fahrradmitnahme ermöglicht.
  • Verkehrssicherheit: Sicher mit Bus & Bahn in der Region Hannover
In Hannover existieren bereits verschiedene Maßnahmen zum Thema Sicher mit Bus & Bahn. Zentrales Thema ist die Gewalt im öffentlichen Raum zu verringern. Wird der öffentliche Personennahverkehr negativ eingeschätzt, äußert sich dies unter anderem in rückläufigen NutzerInnenzahlen. Von der Gewalt in öffentlichen Verkehrsräumen sind Frauen oder Minderheiten häufiger betroffen; daher werden diese - insbesondere zu Zeiten mit wenigen Mitreisenden - häufig gemieden.
Seit dem Jahr 1999 werden aus diesen Gründen auf die Mobilität und den Verkehr bezogene Leitlinien in der Region Hannover umgesetzt: Das generelle Wohlbefinden soll erhöht werden, wobei gleichzeitig die Zivilcourage gestärkt und trainiert wird.

Haushaltsform

Neben der sozialen Schicht (Einkommen, Bildung, berufliche Position, d.h. sozioökonomische Gruppen) bestimmt die Haushaltsform die soziale Lage, d.h. die unterschiedlichen Möglichkeiten, mobil sein zu können, um den jeweiligen Alltag zu organisieren. Neben der Größe, spielt hierbei die Zusammensetzung der Haushalte eine wesentliche Rolle (Zahl der Erwachsenen, Zahl und Alter der Kinder), denn diese bilden Rahmenbedingungen für unterschiedliche Rollenverpflichtungen (s.o.) und den daraus ableitbaren mehr oder weniger engen zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Relevant hierfür ist –neben der Höhe der Einkommen – die Zahl der VerdienerInnen und für wie viele Personen das Geld reichen muss. Zeitressourcen hängen vor allem von den Verpflichtungen aufgrund der Sorge um die Kinder ab.

Die Bedeutsamkeit der Haushaltseinkommen auf die Leistbarkeit von Mobilität in Österreich wurde im Rahmen des COSTS-Projektes analysiert.

Nationalität / Migrationshintergrund

Nationalität

Die Bedeutung der Kategorie „Nationalität“ ist für die Verkehrs- und Mobilitätsforschung völlig unklar und unterstellt eine Mischung aus einer ausländisch beeinflussten Sozialisation, aber unklaren Verhaltensaspekten. Was ist mit „Nationalität“ gemeint? Sprachschwierigkeiten – dann fällt es unter (-> Kognitive Barrieren / digital divide); weniger Einkommen (-> Sozioökonomische Disparitäten); traditionelle Rollenmuster (Lenker und Beifahrerin?) (-> gender-Ungleichheiten). Zudem ist die Gemeinsamkeit einer Staatszugehörigkeit nur in Extremfällen ein homogenisierendes Maß, weil unterschiedliche soziale Lagen und soziale Kulturen damit verbunden sein können.

Migrationshintergrund

Diese Kategorie fasst alle Menschen zusammen, die selbst oder deren zumindest ein Elternteil außerhalb des Aufnahmelandes geboren wurde. Diese Kategorie wurde in die amtliche Statistik aufgenommen, weil sich durch eine Einbürgerung zwar die Nationalität, nicht aber die Sozialisationseffekte durch zwei oft unterschiedliche Kulturen verändern. In Kombination mit der Nationalität verspricht man sich für die Integration und deren Barrieren ggf. Hinweise. In der Regel richtet sich das Interesse am Migrationshintergrund erst, wenn es sehr große normative Diskrepanzen zur Aufnahmegesellschaft ergeben (z.B. Flüchtlinge aus Zentralafrika oder Mittelasien).

Als statistische Kategorie taugt sie jedoch für eine differenzierte Mobilitätsforschung überhaupt nicht, weil sich daraus keine gemeinsamen Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber der autochthonen Gesellschaft ergeben, denn in dieser Kategorie werden u.a. ein Manager aus den USA, die Studentin aus den Niederlanden und ein Gelegenheitsarbeiter aus Afghanistan zusammengefasst.

Die Alltagsmobilität von MigrantInnen hat bislang daher wenig Beachtung innerhalb der wissenschaftlichen Bearbeitung in Österreich erhalten. Der ÖAMTC hat diesbezüglich 2014 jedoch eine Studie zum Mobilitätsverhalten von Menschen mit Migrationshintergrund veröffentlicht.

Projekte
  • Mama fährt Rad
In Anlehnung an erfolgreiche Angebote wie Mama lernt Deutsch wurde in Wien das Pilotprojekt Mama fährt Rad gestartet. Ziel war es, Migrantinnen die Möglichkeit zu geben, selbst aktiver unterwegs zu sein. Als zusätzlicher Effekt sollte durch das Fahrradfahren die Integration in die österreichische Gesellschaft unterstützt, die Kultur besser kennengelernt und gleichzeitig etwas für die Umwelt und die eigene Gesundheit getan werden. Weitere relevante Forschungsergebnisse zum Radfahren mit Migrantinnen sind hier zu finden.

Sozioökonomische Gruppen

Unter sozioökonomischen Gruppen werden

  • Einkommens- und (seltener) Vermögensgruppen,
  • Bildungs- und Ausbildungsgruppen und
  • Gruppen nach ihrer Stellung im Beruf

verstanden. Sie sind die Grundelemente für eine Unterscheidung nach sozialer Schicht und sozialem Status.

Einkommens- und Vermögensgruppen

Einkommens- oder Vermögenskategorien sind in der Regel kein Bestandteil der Amtlichen Statistik. Lediglich die EU-weite Einkommens- und Verbrauchsstichprobe EU-SILC (European Community Statistics on Income and Living Conditions) gibt u.a. über Durchschnittswerte und Verteilungen über die Kategorien von Einkommensklassen auf der Ebene der Bundesländer Auskunft. Diese Ergebnisse basieren auf relativ kleinen Stichproben in einem rollierenden Panel und sind räumlich nicht disaggregierbar. Die Daten der EU-SILC werden überwiegend für die Sozialstatistik und für die Armutsforschung verwendet.

In einer marktbasierten Gesellschaft sind Einkommen und Vermögen zentrale Möglichkeiten, um sich Waren oder Dienstleistungen zu kaufen, zu leasen oder zu mieten – eben (mehrere) Fahrzeuge, Zeitkarten für den ÖPV, Sharing-Dienste oder Apps. Daher werden Einkommen in den meisten Verkehrs- und Mobilitätsstudien auch erhoben. Aufgrund der Tabuisierung des Aufdeckens eigener Einkommens- und Vermögensbedingungen sind solche Erhebungen durch eine höhere Verweigerung der Angaben oder deren Verfälschung (tendenziell immer zur Mitte) gekennzeichnet. Angaben zum Einkommen werden allerdings für untere Einkommen im Kontext der Erforschung der Mobilitätsarmut sinnvoll verwendet (Daubitz 2016[7]).

Bildungs- und Ausbildungsgruppen

Die Angaben über den höchsten Schulabschluss oder ob eine Berufsausbildung abgeschlossen ist resp. ob man noch in entsprechender Bildungs- und/oder Ausbildungsphase ist, werden in der Regel in Verkehrs- und Mobilitätsstudien ebenfalls erhoben – sehr häufig als Dummy für die Frage nach dem Einkommen. Damit soll zumindest der soziale Status abgebildet werden. Es ist aber sehr fraglich, welche Aussagekraft für die Erklärung mobilitätsrelevanter Einstellungen oder des Mobilitätsverhaltens diese Dimension hat, denn die vor allem die mittleren (Aus-)Bildungsklassen weisen oft eine höhere Binnen-Heterogenität auf als eine gegenüber anderen (Aus-)Bildungsklassen der Mitte. Die Erklärungskraft für Mobilitätsverhalten ist also sehr gering.

Stellung im Beruf

Das Merkmal „berufliche Position“, sowohl nach Arbeiter, Angestellte, Selbständige etc., als auch nach niedriger und höher innerhalb der Kategorien unterschieden, stammt ebenfalls aus der Schichtungstheorie, wird aber in der Verkehrs- und Mobilitätsforschung – aufgrund der niedrigen Erklärungskraft – nur in Ausnahmefällen angewandt.

Soziokulturelle Gruppen

In der sozialwissenschaftlichen Ungleichheitsforschung und in der Marktforschung wurden seit den 1980er Jahren verstärkt Milieu- und Lebensstilforschungen und -projekte durchgeführt, um das zunehmend ausdifferenzierte Verhalten innerhalb moderner Gesellschaften verstehen, erklären und beeinflussen zu können. Während die Milieu-Modelle auf allgemeinen Werten und Einstellungen zu unterschiedlichen Bereichen des Alltags basieren, fassen Lebensstil-Modelle Menschen mit sehr ähnlichen Verhaltensweisen zusammen. Unter einem Mobilitätsstil werden solche Personen zusammengefasst, die ein ähnliches Mobilitätsverhalten zeigen.

Im Gegensatz zu den sozioökonomischen und soziodemografischen Informationen, die im Rahmen der Amtlichen Statistik eindeutig definiert und klassiert werden, gibt es für die soziokulturellen Aspekte in der Marktforschung und der Verhaltensforschung bislang kein einheitliches Vorgehen hinsichtlich der zentralen Dimensionen, der Operationalisierung und des Zusammenfassens innerhalb multivariater statistischer Verfahren.

Während die Marktforschungs-Institute ihre Vorgehensweise nur ansatzweise offenlegen (Betriebsgeheimnis), haben sich in der deutschsprachigen wissenschaftlichen Literatur die Ansätze von Gerhard Schulze (1992[8], Michael Vester und seine MitarbeiterInnen (2001)[9] sowie Gunnar Otte (2004, 2005)[10], [11], (der sei Milieumodell jedoch als Model des „Lebensstils“ resp. des „Lebensführungsstils“ bezeichnet) durchgesetzt. Teilweise beziehen sich die Marktforschungsinstitute auf diese und weitere theoretische Quellen (beispielsweise auf Bourdieu 1992[12]).

SINUS-Milieus

In der Folge wird ein Modell aus der Marktwirtschaft vorgestellt, das sich in sehr unterschiedlichen Konsum- und Verhaltensbereichen bewährt hat und das in einigen FFG-geförderten Mobilitätsprojekten (u.a. pro:motion und mobility2know) erfolgreich angewendet wurde (Dangschat 2018[13]).

Das Marktforschungsinstitut SINUS hat zusammen mit INTEGRAL speziell für Österreich 10 Milieus definiert, mit welchen die Lebensstile der hiesigen Bevölkerung, aufgrund jahrelanger Markt- und sozialwissenschaftlicher Forschung abgebildet werden. Die einzelnen Milieus werden in ihrer Charakteristik hier näher beschrieben.

Sinus-Milieus in Österreich

Die zehn SINUS-Milieus© sind in ein Koordinatensystem eingebunden, die auf der x-Achse das traditionelle Schichtungsmodell und auf der y-Achse spezifische Wertvorstellungen abbildet, die sich (von links nach rechts) zunehmend in der Gesellschaft in Österreich herausgebildet haben. Die Milieus fassen Menschen mit ähnlichen Auffassungen und Wertvorstellungen (zustimmend oder ablehnend) zusammen. Es lassen sich auf diese Weise „real existierende“ Lebenswelten abbilden.

Der Milieu-Ansatz in der Mobilitätsforschung

Innerhalb des Projektes mobility2know_4_ways2go wurden die SINUS-Milieus erstmalig in einem Mobilitätsprojekt in Österreich angewendet und hinsichtlich der Erklärungskraft unterschiedlicher Aspekte des Mobilitätsverhaltens gegenüber den klassischen sozioökonomischen und soziodemografischen Typologien sowie einer sehr differenzierten Raumkategorie (aus über 50 Indikatoren der Erreichbarkeit wesentlicher Einrichtungen) getestet.

Erklärungsmodell des Verhaltens aus Kategorien sozialer Ungleichheit, sozialer Milieus, Lebens- und Mobilitätsstilen und des Raumes © Jens S. Dangschat

Verhaltenshomogene Gruppen / Mobilitätsstile

Schon in den 1970er Jahren hatte der Verkehrsforscher Kutter (1973)[14] den Versuch unternommen, aus der sichtbaren Alltagsmobilität „verhaltenshomogene Gruppen“ abzuleiten. Neben der Erwerbstätigkeit, die damals noch stark „voll erwerbstätig“ (mit noch über acht Stunden Arbeitszeit pro Tag resp. Samstag als Arbeitstag) und „nicht erwerbstätig“ polarisiert war, waren diese Gruppen jedoch hinsichtlich der strukturellen Merkmalen oftmals sehr heterogen.

Im sozialwissenschaftlichen Bereich haben sich Konrad Götz und seine MitarbeiterInnen (2016)[15] intensiv mit Mobilitätsstilen befasst und dezidiert beschrieben, mit welchen methodischen Schritten sie zu ihrer Typologie gelangen. Für die Methodik gibt es jedoch bislang kein normiertes Vorgehen (Art und Anzahl der Subdimensionen, Operationalisierung und Messung der einzelnen Indikatoren, Verrechnungsmodus, Art und Kombination statistischer Verfahren). Zudem führen die Analysen zu sehr pauschale Typologien („überzeugter Autofahrer“, „leidenschaftlicher Fahrradfahrer“) und/oder sind die Ergebnisse stark von der Stichprobe selbst abhängig; daher sind Verallgemeinerungen kaum zulässig.

Der Sozialpsychologe Marcel Hunecke hat sich in mehreren Forschungsprojekten (u.a. MOBILANZ) mit den psychologischen und sozialen Aspekten der Erforschung der Mobilitätsstile befasst.

Das Zukunftsinstitut hat zusammen mit dem ADAC e.V. eine Typologie der Mobilitätsgesellschaft von morgen erarbeitet. Durch die starke Individualisierung der Gesellschaft wird bis zum Jahr 2040 ein vielseitiges Spektrum mit unterschiedlichen Ansprüchen, Gewohnheiten und Notwendigkeiten erwartet. Aus den Überlegungen heraus werden neun Mobilitätsstile definiert, welche die Mobilität der Zukunft entscheidend prägen werden.

Informationsbedürfnisgruppen

Im FFG-geförderten Projekt pro:motion hat in einem Bericht Möglichkeiten zur Förderung von aktiver Mobilität durch Zielgruppenorientierung und -motivation beschrieben. Unter der Einbeziehung von sozialwissenschaftlichen Ansätzen wurde versucht, möglichst homogene Gruppen zu identifizieren, die bestimmte Informationen benötigen, um besonders auf ein Angebot anzusprechen. Argumente wie Gesundheit, Umwelt, Kosten, Image, oder Erlebnis wurden im Rahmen der Befragung ermittelt. Dabei sind folgende Typologien nach ihren Informationsbedürfnissen hervorgegangen:

Spontan - On the Go

Diese Gruppe ist durch hohe Schnelligkeit und Spontanität gekennzeichnet, mit welcher sie Informationen erwarten, aufnehmen und verarbeiten. Sie sind vergleichsweise ungeduldig und wollen präzise Informationen, da sie meist erst unterwegs die Reiseroute im Detail planen. Mittels mehrerer Apps werden diese Informationen am Smartphone abgefragt, Papier und Internetbrowser werden kaum verwendet. Durch einen mobilen, flexiblen und nicht von Routinen behafteten Lebensstil ist diese Gruppe täglich auf viele Informationen angewiesen.

Hoch informierte Nachhaltigkeit Personen dieser Gruppe suchen bzw. rezipieren verkehrs- bzw. mobilitätsbezogene Informationen proaktiv. Sie befassen sich ausführlich mit aktuellen Angelegenheiten und Themen. Sie unterscheiden bezüglich ihres Informationsbedürfnisses zwischen alltäglich relevanten Informationen auf der einen Seite und Information, die zum Aufbau bzw. zur Erhaltung ihres Hintergrundwissens dienen, auf der anderen. Erstere werden ähnlich wie bei der Spontan – On the Go-Gruppe schnell und unkompliziert erwartet. Für tiefergehende Information, die ihrem Hintergrundwissen dienen, sind Menschen dieses Typus gerne bereit, längere Zeit zu investieren.

Effizienz-Orientiert Effizienz orientierte Verkehrsteilnehmer nehmen ausschließlich Informationen auf, die sie selbst zur Erfüllung eines bestimmten Ziels brauchen. Ähnlich wie die Spontan – On the Go-Gruppe und die Gruppe der Hoch informierten Nachhaltigkeit benötigt auch diese Gruppe eine Vielzahl an Informationen und erhält diese meist ebenso via Smartphone oder anderer moderner digitaler Kanäle. Im Unterscheid zur ersten Gruppe sind diese etwas geduldiger.

Interessiert-Konservativ Personen des Informationsverhaltenstypus Interessiert-Konservativ benötigen für ihre alltäglichen Wege nur ein eher durchschnittliches Ausmaß an Informationen. Bei längeren Wegen oder Urlaubsreisen ist dieser Bedarf jedoch deutlich höher. Auch die Art und Weise der Informationsabfrage ist bei dieser Gruppe anders: Sie bevorzugt größtenteils eine vor dem Weg ausgedruckte Information. Smartphones und digitale Kanäle stehen zwar zur Verfügung, werden aber nur selten für mobilitäts- bzw. verkehrsrelevante Informationsabfragen genutzt. Sie können allgemein als umweltfreundlich und nachhaltig denkend charakterisiert werden.

Niedriger Informationsbedarf Diese Gruppe definiert sich durch ihren geringen Informationsbedarf. Sowohl subjektiv als auch objektiv betrachtet, benötigen Personen dieser Gruppe wenige mobilitäts- bzw. verkehrsrelevante Informationen. Dies ist vor allem durch ein gleichbleibendes Mobilitätsverhalten in kleinräumiger Umgebung und eine geringe Bereitschaft gekennzeichnet, das Mobilitätsverhalten zu ändern. Mit digitalen Informationstechnologien ist diese Gruppe durchaus vertraut, setzt aber bei der tatsächlichen Mobilitätsabfrage oft auf persönlichen Kontakt in ihrem direkten, kleinräumig stabilen Umfeld.

Digital Illiterates Digital Illiterates benötigen keine oder nur sehr wenige mobilitäts- bzw. verkehrsrelevante Informationen. Zum einen wollen Angehörige dieser Gruppe ihr vertrautes Mobilitätsverhalten nicht mehr verändern, da sie sich auch überwiegend auf bekannten Wegen innerhalb eines vertrauten Umfelds bewegen. Zum anderen sind einige von ihnen in ihrer Mobilität aufgrund von ökonomischen, gesundheitlichen oder auch anderen Gründen eingeschränkt. Man verlässt sich in dieser Gruppe eher auf die Hilfe anderer, als dass man sich aktiv die Informationen selbst verschafft. Die Digital Illiterates sind nicht sehr tech-affin und weniger mit Apps und digitalen Services vertraut.

Veränderungen auf individueller Ebene (Wandel im Lebenszyklus, Umzug)

Ein anderer Zugang der Klassifikation ist, die Veränderungen des Mobilitätsverhaltens im Laufe eines Lebens auf ihren „Auslöser“ hin zu analysieren. Einschneidende Lebensereignisse wie Umzug, Geburt, Trennung/Scheidung, Führerscheinerwerb wirken sich sehr häufig auf das Mobilitätsverhalten der betroffenen Personen aus. In der Regel steht die Frage im Mittelpunkt, ob in diesem Kontext ein Pkw an- oder abgeschafft wurde.

Verhaltensänderungsphasen

In der traditionellen Demographie ist man davon ausgegangen, dass Menschen im Verlauf ihres Lebens bestimmte Phasen durchlaufen: Kindheit, Jugend, Elternschaft, Kinder aus dem Haus, Witwe/Witwer. Gesellschaftliche Ausdifferenzierung und der Wertewandel haben durch zunehmende Kinderlosigkeit, Scheidungen/Trennungen, Wiederheirat dazu geführt, dass man nicht mehr an die Allgemeingültigkeit eines „Standard-Normal-Lebenszyklus“, d.h. einer geregelten linearen Abfolge der Phasen ausgeht. Mobilitätsforschende gehen davon aus, dass gerade in Phasenübergängen aufgrund von Umzügen Wohnstandort- und Mobilitäts-Präferenzen wirksam werden, die einander bedingen (Scheiner & Holz-Rau 2015[16]).

Lisa Döring (2015)[17] beschreibt unterschiedliche biografische Effekte auf die Mobilitätsbiografie als Abbild des individuellen Mobilitätsverhaltens im Lebensverlauf. Dabei steht die Mobilitätsbiografie in einer Wechselwirkung mit anderen Teilbiografien (beispielsweise Haushalts-, Erwerbs- oder Ausbildungsbiografie). Eine Mobilitätsbiografie wird jedoch nicht ausschließlich von individuellen Faktoren beeinflusst, sondern räumliche (Erreichbarkeit), technische (Verkehrssystem), politische, zeitliche und soziale Rahmenbedingungen, sowie die Biografien von Angehörigen können das eigene Mobilitätsverhalten im Laufe des Lebens verändern.

  • Von der Biografie zur Multigrafie
Von der Biografie zur Multigrafie
Das Zukunftsinstitut hat zusammen mit dem ADAC e.V. eine Typologie der Mobilitätsgesellschaft von morgen erarbeitet. Darin wird unter anderem auf die immer Individueller werdenden Lebensläufe der Menschen eingegangen. Mittels der Überschrift Von der Biografie zur Multigrafie (siehe Abbildung rechts) soll die sprunghafte und teils unvorhersehbare Entwicklung von verschiedenen Personen in der heutigen Zeit skizziert werden. Aus einem klassischen dreiphasigen Lebensablauf wird eine flexible Lebensführung. Damit einhergehend verschieben sich natürlich auch die Bedürfnisse, Motivationen und Erwartungen der VerkehrsteilnehmerInnen.

Einzelnachweise

  1. Bastian, Thomas (2010): Mobilitätsbezogene Einstellungen beim Übergang vom Kindes- ins Jugendlichenalter. Querschnittliche Altersvergleiche bei 14- bis 16-Jährigen. Wiesbaden: Springer VS.
  2. Baslington, Hazel (2008): Travel Socialization: A Social Theory of Travel Mode Behavior. In: International Journal of Sustainable Transportation 2 (2): 91-141.
  3. Flade, Antje & Limbourg, Maria (o.J.): Das Hineinwachsen in die motorisierte Gesellschaft – Eine vergleichende Untersuchung von sechs deutschen Städten. https://www.uni-due.de/~qpd402/alt/texte.ml/FladeLimb.html.
  4. Haustein, Sonja; Klöckner, Christian A. & Blöbaum, Anke (2008): Car use of young adults: The role of travel socialization. In: Transportation Research Part F – Traffic Psychology and Behaviour 12 (2):168-178.
  5. Knoll, Bente & Szalai, Elke (2009): Gender Gap im Verkehrs- und Mobilitätsbereich – Hintergrundbericht. Studie im Auftrag des VCÖ. Wien. https://www.mobilservice.ch/admin/data/files/news_section_file/file/2232/vcoe-studie-gender-gap-hintergrundbericht.pdf?lm=1418801165.
  6. Konrad, Kathrin (2016): Mobiler Alltag im Wandel des Geschlechterverhältnisses. Studien zur Mobilitäts- und Verkehrsforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11282-0_4.
  7. Daubitz, Stephan (2016): Mobilitätsarmut: Die Bedeutung der sozialen Frage im Forschungs- und Politikfeld Verkehr. In: O. Schwedes, W. Canzler & A. Knie (Hg.) Handbuch Verkehrspolitik. Wiesbaden: Springer VS: 433-447. https://doi.org/10.1007/ 978-3-658-04693-4_20.
  8. Schulze, Gerhard (1992): Die Erlebnisgesellschaft: Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt am Main & New York: Campus.
  9. Vester, Michael; von Oertzen, Peter; Geiling, Heiko; Hermann, Thomas & Müller, Dagmar (2001): Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel. Zwischen Integration und Ausgrenzung. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  10. Otte, Gunnar (2004): Sozialstrukturanalysen mit Lebensstilen. Eine Studie zur theoretischen und methodischen Neuorientierung der Lebensstilforschung. Wiesbaden: VS – Verlag für Sozialwissenschaften.
  11. Otte, Gunnar (2005): Entwicklung und Test einer integrativen Typologie der Lebensführung für die Bundesrepublik Deutschland, In: Zeitschrift für Soziologie 34 (6): 442-467.
  12. Bourdieu, Pierre (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  13. Dangschat, Jens S. (2018): Soziale Milieus in der Mobilitätsforschung. In: Barth, B.; Flaig, B.B.; Schäuble, N. & Tautscher, M. (Hrsg.): Praxis der Sinus-Milieus©. Wiesbaden: Springer VS: 139-154.
  14. Kutter, Eckhard (1973): Aktionsbereiche des Stadtbewohners. Untersuchungen zur Bedeutung der territorialen Komponente im Tagesablauf der städtischen Bevölkerung. In: Archiv für Kommunalwissenschaften, Heft 12: 69-85.
  15. Götz, Konrad; Deffner, Jutta & Klinger, Thomas (2016): Mobilitätsstile und Mobilitätskulturen – Erklärungspotenziale, Rezeption und Kritik. In: Schöller, O.; Canzler, W. & Knie, A. (Hrsg.): Handbuch Verkehrspolitik. Wiesbaden: VS – Verlag für Sozialwissenschaften: 781-804.
  16. Scheiner, Joachim & Holz-Rau, Christian (2012): Changes in travel mode use after residential relocation: A contribution to mobility biographies. In: Transportation 40 (2): 431–58.
  17. Döring, Lisa (2015): Biografieeffekte und intergenerationale Sozialisationseffekte in Mobilitätsbiografien. Wiesbaden. Springer VS.