Raumentwicklung: Unterschied zwischen den Versionen

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Bevor Raumentwicklung zum Gegenstand eines institutionalisierten planerischen Instruments unterschiedlicher staatlicher Ebenen wurde, wurde es kaum für erforderlich empfunden, steuernd in die räumliche Nutzungsentwicklung einzugreifen. Dennoch gab es bereits seit der Antike Vorstellungen von „idealen“ Raumstrukturen, die Städte nach sozialutopischen oder ästhetischen Grundsätzen gestalten wollten, meist in Form geometrischer Grundrisse (Schachbrettmuster, konzentrische Ringe oder Sternformen, z.B. Palmanova) mit klaren Funktionszuordnungen innerhalb des Raumes. In den meisten Fällen stellten die Entwürfe eine Umsetzung von Ideen zu wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder politischer Organisation dar, etwa barocke Residenzstädte mit städtebaulichen Achsen und Dominanten als Abbild der absolutistischen Regierungsform (z.B. Karlsruhe, Mannheim), oder sozialreformerische Gartenstädte erdacht von Ebenezer Howard, welche jedoch nur teilweise umgesetzt wurden. Einen umfassenden Einblick in die Evolution räumlicher Planungsideale erhält man durch die Chronologie der internationalen Planungsgeschichte seit dem frühen 18. Jhd. sowie der historischen Abfolge der einflussreichsten Planungstheoretiker.
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Bevor Raumentwicklung zum Gegenstand eines institutionalisierten planerischen Instruments unterschiedlicher staatlicher Ebenen wurde, wurde es kaum für erforderlich empfunden, steuernd in die räumliche Nutzungsentwicklung einzugreifen. Dennoch gab es bereits seit der Antike Vorstellungen von „idealen“ Raumstrukturen, die Städte nach sozialutopischen oder ästhetischen Grundsätzen gestalten wollten, meist in Form geometrischer Grundrisse (Schachbrettmuster, konzentrische Ringe oder Sternformen, z.B. Palmanova) mit klaren Funktionszuordnungen innerhalb des Raumes. In den meisten Fällen stellten die Entwürfe eine Umsetzung von Ideen zu wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder politischer Organisation dar, etwa barocke Residenzstädte mit städtebaulichen Achsen und Dominanten als Abbild der absolutistischen Regierungsform (z.B. Karlsruhe, Mannheim), oder sozialreformerische Gartenstädte erdacht von Ebenezer Howard, welche jedoch nur teilweise umgesetzt wurden. Einen umfassenden Einblick in die Evolution räumlicher Planungsideale erhält man durch die Chronologie der internationalen Planungsgeschichte seit dem frühen 18. Jhd.<ref>Campbell, S. (2020): Planning History Timeline: a Selected Chronology of Events. University of Michigan, online, laufende Aktualisierung. </ref> sowie der historischen Abfolge der einflussreichsten Planungstheoretiker<ref>Campbell, S. (2019): Urban theorist timeline. University of Michigan, online, laufende Aktualisierung. </ref>
  
 
Die Raumplanung befasst sich mit der Gestaltung des von Menschen in Anspruch genommenen und genutzten physischen Raumes sowie mit der Analyse und Begleitung raumbezogener Entwicklungen. Allerdings folgt die Raumentwicklung nicht nur einer gezielten Gestaltung der Raumstruktur, sondern auch politischen Interessen und gesellschaftlichen Trends.
 
Die Raumplanung befasst sich mit der Gestaltung des von Menschen in Anspruch genommenen und genutzten physischen Raumes sowie mit der Analyse und Begleitung raumbezogener Entwicklungen. Allerdings folgt die Raumentwicklung nicht nur einer gezielten Gestaltung der Raumstruktur, sondern auch politischen Interessen und gesellschaftlichen Trends.
  
 
==Steigender Einfluss der Verkehrsentwicklung auf die Raumentwicklung==
 
==Steigender Einfluss der Verkehrsentwicklung auf die Raumentwicklung==
[[Datei:Futurama.jpg|200px|thumb|reight|Futurama: "To New Horizons", Weltausstellung 1939]]
 
 
 
===Die Charta von Athen===
 
===Die Charta von Athen===
  
 
In einer Reihe von Stadtutopien der 1920er Jahre wurde die Großstadt der Zukunft durch „innovative Verkehrslösungen“ bestimmt: Dampfende Eisenbahnen fuhren ebenso durch Hochhäuser wie Autos auf dichtbefahrende Schnellstraßen und um die Häuser flogen kleinere Flugzeuge. Ein bekanntes städtebauliches Beispiel ist der Entwurf der „Ville Contemporaine“ von [https://de.wikipedia.org/wiki/Le_Corbusier Le Corbusier] aus dem Jahr 1922 oder die „Ville Radieuse“ aus dem Jahr 1930, der sich bereits stark an den Erfordernissen des ungestörten Automobilverkehrs und der starken Trennung der einzelnen Verkehrsströme orientiert, um höchstmögliche Geschwindigkeiten zu erzielen.  
 
In einer Reihe von Stadtutopien der 1920er Jahre wurde die Großstadt der Zukunft durch „innovative Verkehrslösungen“ bestimmt: Dampfende Eisenbahnen fuhren ebenso durch Hochhäuser wie Autos auf dichtbefahrende Schnellstraßen und um die Häuser flogen kleinere Flugzeuge. Ein bekanntes städtebauliches Beispiel ist der Entwurf der „Ville Contemporaine“ von [https://de.wikipedia.org/wiki/Le_Corbusier Le Corbusier] aus dem Jahr 1922 oder die „Ville Radieuse“ aus dem Jahr 1930, der sich bereits stark an den Erfordernissen des ungestörten Automobilverkehrs und der starken Trennung der einzelnen Verkehrsströme orientiert, um höchstmögliche Geschwindigkeiten zu erzielen.  
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Spätestens der aufwändig gestaltete Pavillon von General Motors bei der Weltausstellung 1939 in New York verdeutlichte das neue moderne Ideal der autogerechten Stadt: ''[https://vimeo.com/329901114 "Here is an American city, replanned around a highly developed, modern traffic system."]''<ref>[https://en.wikipedia.org/wiki/Futurama_(New_York_World%27s_Fair) Futurama (1939). "To New Horizons", General Motors, New York World's Fair]</ref>.
 
Spätestens der aufwändig gestaltete Pavillon von General Motors bei der Weltausstellung 1939 in New York verdeutlichte das neue moderne Ideal der autogerechten Stadt: ''[https://vimeo.com/329901114 "Here is an American city, replanned around a highly developed, modern traffic system."]''<ref>[https://en.wikipedia.org/wiki/Futurama_(New_York_World%27s_Fair) Futurama (1939). "To New Horizons", General Motors, New York World's Fair]</ref>.
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Im Jahr 1933 wurde die [https://de.wikipedia.org/wiki/Charta_von_Athen_(CIAM) Charta von Athen] auf dem 4. Kongress der [https://de.wikipedia.org/wiki/Congrès_Internationaux_d’Architecture_Moderne Congrès Internationaux d’Architecture Moderne] unter maßgeblicher Führung von Le Corbusier verabschiedet. Aus dem Entsetzen über die krankmachende Enge insbesondere der Arbeiterquartiere bestand der Hauptgedanke dieser Charta in der ''Funktionstrennung''. Die vier Funktionen Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Erholen sollten durch Grünzüge voneinander getrennt und über den „automobilen Verkehr“ verbunden werden, damit „Licht. Luft und Sonne“ die Wohnungen erreichen konnten. Dadurch verlängerten sich die Wege, auch wenn sie in Westeuropa bis in die Jahre des 2. Weltkrieges zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt wurden.
 
Im Jahr 1933 wurde die [https://de.wikipedia.org/wiki/Charta_von_Athen_(CIAM) Charta von Athen] auf dem 4. Kongress der [https://de.wikipedia.org/wiki/Congrès_Internationaux_d’Architecture_Moderne Congrès Internationaux d’Architecture Moderne] unter maßgeblicher Führung von Le Corbusier verabschiedet. Aus dem Entsetzen über die krankmachende Enge insbesondere der Arbeiterquartiere bestand der Hauptgedanke dieser Charta in der ''Funktionstrennung''. Die vier Funktionen Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Erholen sollten durch Grünzüge voneinander getrennt und über den „automobilen Verkehr“ verbunden werden, damit „Licht. Luft und Sonne“ die Wohnungen erreichen konnten. Dadurch verlängerten sich die Wege, auch wenn sie in Westeuropa bis in die Jahre des 2. Weltkrieges zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt wurden.
  
Diese Neuerung erforderte ein leistungsfähigeres Verkehrsnetz, das sowohl für Autos, als auch für Fußgänger sicher sein sollte<ref>Meyer, J. (2003). Städtebau: Ein Grundkurs, Kohlhammer, Stuttgart</ref>. Erste Beispiele für die Umsetzung sind unter anderem: die [https://en.wikipedia.org/wiki/Ville_Radieuse Ville Radieuse], der [http://www.planum.net/le-corbusier-algiers-plans-1 Masterplan Algier], der [https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/21719/dissertation_poses-pais_carlos.pdf?sequence%3D4&usg=AOvVaw1s93bXqAUdTUNAAnzSzrBt Masterplan Brasiliá], der [https://www.espazium.ch/de/aktuelles/der-wohnblock-de-klijburg-amsterdam-bijlmermeer Wohnblock "De Klijburg"]. Die mit dieser Art von Entwurf verbundenen Nachteile sind u.a. das mit der Funktionstrennung verbundene höhere Verkehrsaufkommen, insbesondere seit den späten 1950er Jahre durch einen wachsenden Motorisierungsgrad, die nötige Steuerung des Verkehrsverhaltens durch Trennen der Verkehrswege und einen höheren Flächenverbrauch. Im deutschsprachigen Raum wurde die Idee der Charta von Athen durch den Vertreter des „Neuen Bauens“ Johannes Göderitz, dem Wiener Architekt Roland Rainer und dem deutsch-österreichischen Stadtplaner und Architekt Hubert Hoffmann mit der „Gegliederten und aufgelockerten Stadt“ aufgegriffen.
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Diese Neuerung erforderte ein leistungsfähigeres Verkehrsnetz, das sowohl für Autos, als auch für Fußgänger sicher sein sollte<ref>Meyer, J. (2003). Städtebau: Ein Grundkurs, Kohlhammer, Stuttgart</ref>. Erste Beispiele für die Umsetzung sind unter anderem: die [https://en.wikipedia.org/wiki/Ville_Radieuse Ville Radieuse], der [http://www.planum.net/le-corbusier-algiers-plans-1 Masterplan Algier], der [https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/21719/dissertation_poses-pais_carlos.pdf?sequence%3D4&usg=AOvVaw1s93bXqAUdTUNAAnzSzrBt Masterplan Brasiliá], der [https://www.espazium.ch/de/aktuelles/der-wohnblock-de-klijburg-amsterdam-bijlmermeer Wohnblock "De Klijburg"]. Die mit dieser Art von Entwurf verbundenen Nachteile sind u.a. das mit der Funktionstrennung verbundene höhere Verkehrsaufkommen, insbesondere seit den späten 1950er Jahre durch einen wachsenden Motorisierungsgrad, die nötige Steuerung des Verkehrsverhaltens durch Trennen der Verkehrswege und einen höheren Flächenverbrauch. Im deutschsprachigen Raum wurde die Idee der Charta von Athen durch den Vertreter des „Neuen Bauens“ Johannes Göderitz, dem Wiener Architekt Roland Rainer und dem deutsch-österreichischen Stadtplaner und Architekt Hubert Hoffmann mit der „Gegliederten und aufgelockerten Stadt“<ref>Göderitz, J.; Rainer, R. & Hoffmann, H. (1957): Die gegliederte und aufgelockerte Stadt. In: Archiv für Städtebau und Landesplanung, Heft 4.</ref> aufgegriffen.
  
 
===Die autogerechte Stadt===
 
===Die autogerechte Stadt===
  
Mit dem zunehmenden Aufschwung des Automobils in der Nachkriegszeit und dem damit einhergehenden Wirtschaftsaufschwung und der Technologiebegeisterung entwickelte sich schließlich auch ein spezieller Fokus auf die Rolle des Automobilverkehrs in der idealen Stadtgestaltung. Der Architekt Hans Bernhard Reichow publizierte im Jahr 1959 seine Ideen zur „autogerechten Stadt“. Doch Reichow wurde gründlich missverstanden, denn er forderte keineswegs den forcierten Ausbau innerstädtischer Straßen. Er kritisierte ausdrücklich, die autogerechte Stadt vornehmlich mit Verkehrswegen in verschiedenen Ebenen zu planen, wie Le Corbusier es forderte. Anstelle der großen „chirurgischen Eingriffe“ von innerstädtischen Auto-Schnellstraßen interessierten ihn eher kleine Eingriffe. Dennoch wurde die „autogerechte Stadt“ zum Slogan des Wiederaufbaus der Städte, der Stadterweiterungen und bis weit in die 1990er Jahre der gesamten Stadtentwicklungsplanung. Diese führte letztlich auch dazu, dass die Siedlungsstrukturen immer weiter über die Grenzen der Städte hinaus ins Umland anwuchsen (Suburbanisierung), was die weitere Motorisierung forcierte und zu täglichen Pendler-Staus in die und in den Städten geführt hatte. Damit verfestigte sich die sog. „Automobilität“, welche weltweit die prosperierenden Gesellschaften prägte.
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Mit dem zunehmenden Aufschwung des Automobils in der Nachkriegszeit und dem damit einhergehenden Wirtschaftsaufschwung und der Technologiebegeisterung entwickelte sich schließlich auch ein spezieller Fokus auf die Rolle des Automobilverkehrs in der idealen Stadtgestaltung. Der Architekt Hans Bernhard Reichow publizierte im Jahr 1959 seine Ideen zur „autogerechten Stadt“<ref>Reichow, H.B. (1959): Die autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos. Otto Maier Verlag, Ravensburg.</ref>. Doch Reichow wurde gründlich missverstanden, denn er forderte keineswegs den forcierten Ausbau innerstädtischer Straßen. Er kritisierte ausdrücklich, die autogerechte Stadt vornehmlich mit Verkehrswegen in verschiedenen Ebenen zu planen, wie Le Corbusier es forderte. Anstelle der großen „chirurgischen Eingriffe“ von innerstädtischen Auto-Schnellstraßen interessierten ihn eher kleine Eingriffe. Dennoch wurde die „autogerechte Stadt“ zum Slogan des Wiederaufbaus der Städte, der Stadterweiterungen und bis weit in die 1990er Jahre der gesamten Stadtentwicklungsplanung. Diese führte letztlich auch dazu, dass die Siedlungsstrukturen immer weiter über die Grenzen der Städte hinaus ins Umland anwuchsen (Suburbanisierung), was die weitere Motorisierung forcierte und zu täglichen Pendler-Staus in die und in den Städten geführt hatte. Damit verfestigte sich die sog. „Automobilität“<ref>Urry, J. (2004): The ‘System’ of Automobility. In: Theory Culture & Society 21 (4-5): 25-39.<ref/>, welche weltweit die prosperierenden Gesellschaften prägte.
  
Ein weiterer Trend, der die Raumentwicklung stark beeinflusst, ist der wachsende Anteil an Einpersonen-Haushalten und der Trend zu mehr Wohnfläche pro Person, besonders beflügelt durch den „Wohntraum“ vom eigenen Haus im Grünen. Dies alles führt zu einem enormen Flächenverbrauch für Wohnraum und dessen Erschließung bis in entfernte Gebiete, mit entsprechenden Belastungen für die Umwelt. Diese Entwicklung führt wiederum zu einer zunehmenden Ungleichheit in der individuellen Mobilität der Menschen, da vor allem im ländlichen Raum die Nahversorgung und öffentliche Verkehrsangebote durch die abnehmende Siedlungsdichte unrentabel und ausgedünnt werden. Die dortige Wohnbevölkerung sieht meist keine Alternative mehr zum Auto und wird auf diese Weise vom Zugang zum motorisierten Individualverkehr abhängig. Fällt diese Option einmal aus (z.B. durch Verlust des Führerscheins bzw. der Fähigkeit ein Auto zu lenken, oder weil man sich ein Auto finanziell nicht mehr leisten kann), sind die Betroffenen in ihrer Mobilität extrem eingeschränkt und können nicht mehr oder nur sehr schwer am gesellschaftlichen Leben teilnehmen (vgl. dazu Barrieren & sowie die Ergebnisse des Projekts ÉGALITÉplus.
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Ein weiterer Trend, der die Raumentwicklung stark beeinflusst, ist der wachsende Anteil an Einpersonen-Haushalten und der Trend zu mehr Wohnfläche pro Person, besonders beflügelt durch den „Wohntraum“ vom eigenen Haus im Grünen. Dies alles führt zu einem enormen Flächenverbrauch für Wohnraum und dessen Erschließung bis in entfernte Gebiete, mit entsprechenden Belastungen für die Umwelt. Diese Entwicklung führt wiederum zu einer zunehmenden Ungleichheit in der individuellen Mobilität der Menschen, da vor allem im ländlichen Raum die Nahversorgung und öffentliche Verkehrsangebote durch die abnehmende Siedlungsdichte unrentabel und ausgedünnt werden<ref>Mitter, H. (2011): Mobilitätsverhalten der Wohnbevölkerung in Abhängigkeit von der Zentralität des Ortes. Schneller, öfter, weiter? Perspektiven der Raumentwicklung in der Mobilitätsgesellschaft;13. Junges Forum der ARL, 15.10.2010, Mannheim.<ref/>. Die dortige Wohnbevölkerung sieht meist keine Alternative mehr zum Auto und wird auf diese Weise vom Zugang zum motorisierten Individualverkehr abhängig. Fällt diese Option einmal aus (z.B. durch Verlust des Führerscheins bzw. der Fähigkeit ein Auto zu lenken, oder weil man sich ein Auto finanziell nicht mehr leisten kann), sind die Betroffenen in ihrer Mobilität extrem eingeschränkt und können nicht mehr oder nur sehr schwer am gesellschaftlichen Leben teilnehmen (vgl. dazu Barrieren & sowie die Ergebnisse des Projekts ÉGALITÉplus<ref>Sammer, G.; Uhlmann, T.; Unbehaun, W.; Millonig, A.; Mandl, B.; Dangschat, J.S. & Mayr, R. (2012): Identification of Mobility-Impaired Persons and Analysis of Their Travel Behavior and Needs. Journal of Transportation Research Board 2320: 46-54.<ref/><ref>Umweltbundesamt (o.J.): Flächeninanspruchnahme – Entwicklung des jährlichen Bodenverbrauchs in Österreich. Online, laufende Aktualisierung.<ref/>.
  
 
Die Herausforderung bestand nun darin, „Stadtlandschaften“ zu planen. „Dezentrale Zentralisierung“ und die Siedlungsentwicklung entlang sog. Entwicklungsachsen, mit dem Rückgrat höherwertiger Verkehrsverbindungen waren die Zielsetzung, um eine Zersiedelung des Umlandes größerer Städte zu verhindern.
 
Die Herausforderung bestand nun darin, „Stadtlandschaften“ zu planen. „Dezentrale Zentralisierung“ und die Siedlungsentwicklung entlang sog. Entwicklungsachsen, mit dem Rückgrat höherwertiger Verkehrsverbindungen waren die Zielsetzung, um eine Zersiedelung des Umlandes größerer Städte zu verhindern.
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Die Herausforderung für die Raum- und Verkehrsplanung besteht nun darin, die Verhaltensänderungen aufgrund der Pandemie in eine nachhaltigere Form der Mobilität zu überführen und zu stärken und die nicht-nachhaltigen Trends wieder umzukehren. Aus ersten Überlegungen hat eine Arbeitsgruppe aus Agora Verkehrswende, dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund, dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und dem Deutschen Institut für Urbanistik sieben Leitlinien vorgelegt. Die „Verkehrswende“ sind in drei Bereiche unterteilbar: Antriebswende, Verkehrswende und Mobilitätswende.
 
Die Herausforderung für die Raum- und Verkehrsplanung besteht nun darin, die Verhaltensänderungen aufgrund der Pandemie in eine nachhaltigere Form der Mobilität zu überführen und zu stärken und die nicht-nachhaltigen Trends wieder umzukehren. Aus ersten Überlegungen hat eine Arbeitsgruppe aus Agora Verkehrswende, dem Deutschen Städtetag, dem Deutschen Städte- und Gemeindebund, dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und dem Deutschen Institut für Urbanistik sieben Leitlinien vorgelegt. Die „Verkehrswende“ sind in drei Bereiche unterteilbar: Antriebswende, Verkehrswende und Mobilitätswende.
  
==Raumplanung als Instrument der Raumentwicklung und ihrer Ziele==
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==Raum- und Verkehrsplanung in Österreich==
Die Raumplanung befasst sich dabei mit der Gestaltung des gegebenen, von Menschen in Anspruch genommenen und genutzten physischen Raumes, sowie mit der Analyse und Begleitung raumbezogener Entwicklungen. Vorgegebene, durch Planung geordnete Raumstrukturen bilden das Bezugssystem, in dem Menschen leben und handeln. Für die nächste Strategieperiode der Raumordnung und Raumplanung ist zu erwarten, dass der Klimawandel im Zentrum der Zielsetzungen steht. Das setzt eine Harmonisierung der Zielsetzungen der Raumplanung mit jenen der nationalen Verkehrspolitik voraus, wobei noch stärkere Maßnahmen für die [[Mobilitätswende]] vorgesehen werden müssen, um den Trend der Verkehrsentwicklung endlich umzukehren und eine ausgeglichene Nutzung des begrenzten Guts „Boden“ für unterschiedliche Grundfunktionen (Wohnen, Verkehr, Arbeit, Freizeit, Versorgung, Kultur, Produktion etc.) bestmöglich zu erreichen und gleichzeitig Umwelt und Natur zu schonen.
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Während des Wiederaufbaus der Wirtschaft in der Nachkriegszeitkam es zu einem rasanten Aufschwung des Motorisierungsgrads in der Bevölkerung und einer raschen Erweiterung der Straßeninfrastruktur, um der ständig wachsenden Nachfrage zu begegnen. Der Fokus der Verkehrspolitik lag daher auch in Österreich auf dem Ausbau der Straßen sowie der Schaffung neuer Arbeitsplätze in diesem Wachstumsmarkt. Nachfrage und Straßenkapazität schaukelten sich dabei gegenseitig auf, da die weiter ausgebaute Infrastruktur neuen Verkehr erzeugte, wodurch die Kapazitätsgrenze angesichts des Verkehrswachstums wieder erhöht werden musste<ref>14. Steininger, G. (2008): Ziele und Vorgaben der österreichischen Verkehrspolitik in den Koalitionsabkommen der Bundesregierung – ein Zeitvergleich 1945-2007. Schriftenreihe des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik – Verkehr, 02/2008, Wirtschaftsuniversität Wien.</ref> Die im nachfolgenden Zeitverlauf erstellten nationalen Planungsstrategien spiegeln den Verlauf der Schwerpunktsetzung in der österreichischen Verkehrspolitik wider<ref>15. Emberger, G. (2017): National transport policy in Austria – from its beginning till today. European Transport Research Review 9 (6). https://doi.org/10.1007/s12544-017-0223-2.</ref>
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Standen im ersten Gesamtverkehrsplan 1968 noch der Ausbau von Infrastrukturen und eine „nachfrageorientierte“ Politik im Mittelpunkt, wurden – nicht zuletzt in Folge der Ölpreisschocks in den 1970er Jahren – seit den späten 1980er Jahren erste Umweltschutzanliegen formuliert. Mit dem [https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XVIII/III/III_00090/imfname_544037.pdf Österreichischen Gesamtverkehrskonzept 1991] wurde bereits ein deutlich stärkeres Umweltbewusstsein deutlich, indem die Vermeidung unnötigen Verkehrs, die Förderung umweltfreundlicher Verkehrsmittel, die Partizipation und die Entwicklung neuester Technologien als Ziele festgesetzt wurden. Mit dem im Jahr 2002 folgenden [http://mgrobe.free.fr/Generalverkehrsplan_Oesterreich.pdf Generalverkehrsplan Österreich] wurden jedoch wieder vor allem ökonomische Ziele in den Vordergrund gerückt (Wettbewerbsfähigkeit, Standortqualität, rasche Implementierung, Sicherheit, Nachhaltigkeit), bis schließlich mit dem Gesamtverkehrsplan für Österreich 2013 integrierte, multimodale, nachfragebeeinflussende Strategien als Zielrichtung formuliert wurden (''sozial – sicher – umweltfreundlich – effizient'').  
  
Weiters kann eine effiziente und nachhaltige [https://link.springer.com/content/pdf/bfm%3A978-3-658-05763-3%2F1.pdf Stadterneuerung] zur verträglichen Nutzung von Boden beitragen und einen Konsens zwischen öffentlichen und privaten Interessen herstellen. Die Motive, Ziele und Inhalte der Stadterneuerung haben sich dabei im Laufe der Geschichte an die jeweils herrschenden gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen angepasst. Stadterneuerung als politisch-planerische Strategie ist von jeher eng verknüpft mit dem jeweils vorherrschenden Staats- und Planungsverständnis, das sowohl die Programmatik als auch die Verfahren und das Rollenverständnis geprägt hat. Die heutige Stadterneuerungspraxis steht sehr stark in der Tradition der erhaltenden, „behutsamen“ Stadterneuerung. Wirtschaftliches Wachstum, das Bild vom starken Staat und gefüllte Fördertöpfe waren wesentliche Voraussetzungen für die „Heilungslogik“ der Stadterneuerung, die an stagnierenden Standorten dem „Markt“ durch verbesserte Rahmenbindungen und finanzielle Anreize wieder auf die Sprünge helfen wollte, um innerhalb des Stadtsystems annähernd gleiche Wohn-, Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Stadterneuerung kann auf allen Ebenen zur Bewältigung der vielfältigen Aufgaben auf ein ausgereiftes Repertoire zurückgreifen und mittels "Ressourcenbündelung" integrierte Handlungsansätze ermöglichen.<ref>Schröteler-von Brandt, H., Schmitt G. (2016). Stadterneuerung, Universität Siegen, RWTH Aachen, Springer Fachmedien, Wiesbaden </ref>
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Die Zielsetzung der künftigen Verkehrs- und Mobilitätsentwicklung in Österreich wurde in zwei Dokumenten formuliert: Der '''FTI-Strategie Mobilität''' und dem '''Mobilitätsmasterplan 2030 für Österreich'''. Die '''FTI-Strategie Mobilität''' besteht aus vier Missionsfeldern. 1. Städte: urbane Mobilität klimaneutral gestalten; 2. Regionen: ländliche Räume mobilisieren und nachhaltig verbinden; 3. Digitalisierung: Infrastruktur, Mobilitäts- und Logistikdienste effizient und klimaverträglich betreiben und 4. Technologie: umweltverträgliche Verkehrstechnologien entwickeln.
  
Allerdings folgt die Raumentwicklung nicht nur einer gezielten Gestaltung der Raumstruktur, sondern auch politischen und gesellschaftlichen Trends. Das rasante und zunehmend dynamische Wachstum der Mobilität innerhalb der letzten hundert Jahre ermöglichte Reisen mit Geschwindigkeiten und einer Häufigkeit, welche noch vor drei Generationen undenkbar gewesen wären. Dies bedingt allerdings auch einen deutlichen Zuwachs der zurückgelegten Distanzen, des damit verbundenen Ressourcenverbrauchs (Material, Energieträger, Fläche) aber auch eine „Verinselung“<ref> Löw, M., (2001). Raumsoziologie. Suhrkamp, Frankfurt am Main</ref> des Raums durch eine zunehmende Entflechtung von Flächennutzungen. Lebensgrundfunktionen (z.B. Arbeiten, Wohnen, Freizeit) rückten räumlich immer weiter auseinander, wodurch ebenfalls immer mehr Verkehr erzeugt wurde<ref>[http://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/26902 Mitter, H. (2011). Mobilitätsverhalten der Wohnbevölkerung in Abhängigkeit von der Zentralität des Ortes. Schneller, öfter, weiter? Perspektiven der Raumentwicklung in der Mobilitätsgesellschaft;13. Junges Forum der ARL, 15.10.2010, Mannheim.]</ref>. Passende Ergebnisse sind auch aus der aktuellen [https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/bevoelkerung/volkszaehlungen_registerzaehlungen_abgestimmte_erwerbsstatistik/pendlerinnen_und_pendler/index.html Pendlerstatistik Österreichs] und dem [https://www.planungsgemeinschaft-ost.at/fileadmin/root_pgo/Studien/Raumordnung/Motivation_und_Zufriedenheit_von_Zuzüglern_ins_Wiener_Umland_Zusammenfassung.pdf Resümee] eines Berichts des ÖIEB zum Thema "Motivation und Zufriedenheit von Zuzüglern ins Wiener Umland" zu entnehmen.
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In diesem Zusammenhang sollen innovative Experimentierräume geschaffen und neue Allianzen entwickelt werden.
  
Ein weiterer Trend, der die Raumentwicklung stark beeinflusst, ist der wachsende Anteil an Einpersonen-Haushalten und der Trend zu größeren Wohnflächen pro Person, besonders beflügelt durch den lange bestehenden österreichischen „Wohntraum“ vom eigenen Haus im Grünen. Dies alles führt zu einem enormen Flächenverbrauch für Wohnraum und dessen Erschließung bis in die entferntesten Gebiete, mit entsprechenden Belastungen für die Umwelt. Diese Entwicklung führt wiederum zu einer zunehmenden Ungleichheit in der individuellen Mobilität der Menschen, da vor allem im ländlichen Raum die Nahversorgung und öffentliche Verkehrsangebote durch die abnehmende Siedlungsdichte unrentabel und ausgedünnt werden. Die dortige Wohnbevölkerung sieht meist keine Alternative mehr zum Auto und wird auf diese Weise vom Zugang zum motorisierten Individualverkehr abhängig. Fällt diese Option dann aber einmal aus (z.B. durch Verlust des Führerscheins bzw. der Fähigkeit ein Auto zu lenken, oder durch unzureichende finanzielle Mittel), sind die Betroffenen in ihrer Mobilität extrem eingeschränkt und können nicht mehr oder nur sehr schwer am gesellschaftlichen Leben teilnehmen (vgl. dazu [[Ungleichheiten]] sowie die Egebnisse des Projekts ÉGALITÉplus<ref>[https://www.researchgate.net/publication/235915950_Identification_of_Mobility-Impaired_Persons_and_Analysis_of_Their_Travel_Behavior_and_Needs Sammer, G., Uhlmann, T., Unbehaun, W., Millonig, A., Mandl, B., Dangschat, J., Mayr, R. (2012): Identification of Mobility-Impaired Persons and Analysis of Their Travel Behavior and Needs. Journal of Transportation Research Board 2320; pp. 46 - 54.]</ref><ref>[https://www.umweltbundesamt.at/umweltsituation/raumordnung/rp_flaecheninanspruchnahme/ Umweltbundesamt (o.j.). Flächeninanspruchnahme - Entwicklung des jährlichen Bodenverbrauchs in Österreich. Online, laufende Aktualisierung.]</ref>.
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Der '''Mobilitätsmasterplan 2030 für Österreich''' trägt den Untertitel „Der neue Klimaschutz-Rahmen für den Verkehrssektor Nachhaltig – resilient – digital“. Es geht hier nicht mehr um Ausbauziele der Verkehrsinfrastruktur, sondern er soll explizit dazu dienen, den EC Green Deal im Bereich Verkehr/Mobilität umzusetzen und dazu beitragen, dass Österreich bis zum Jahr 2040 klimaneutral wird. Dazu brauche es „Veränderungen in allen Bereichen des Verkehrssystems“ sowie „in der Infrastruktur, den Verkehrsmitteln, den Raumstrukturen, unserm Verhalten und unseren Einstellungen“ – die letztgenannten Ziele sind innerhalb der Verkehrs-/ Mobilitätsstrategien Österreichs neu, sie entsprechen aber exakt den Aufgaben des CMC.
  
Weiters wird vielerorts die Planung entlang von sogenannten [https://de.wikipedia.org/wiki/Entwicklungsachse ''Entwicklungsachsen''] angestrebt. Die Länder [https://www.raumordnung-noe.at/fileadmin/root_raumordnung/land/landesentwicklungsplanung/LEK_ohne_Cover.pdf Niederösterreich] (S.25) und [https://www.land-oberoesterreich.gv.at/files/publikationen/LAROP_Motivenbericht.pdf Oberösterreich] (S.90) beispielsweise erwähnen dies in ihren Raumordnungsprogrammen. Außerdem existiert mit dem [https://www.mobillab.wien/under-pressure-developing-viennislava/ Under Pressure: Developing Viennislava] ein Studierendenprojekt des Instituts für Raumplanung an der TU Wien, welches die Entwicklungsachse zwischen Wien und Bratislava untersucht. Auch der [https://nachhaltigwirtschaften.at/resources/sdz_pdf/berichte/endbericht_2017-16_erphoch3.pdf Endbericht] des Projekts [https://nachhaltigwirtschaften.at/de/sdz/projekte/energieraumplanung-fuer-smart-city-quartiere-und-smart-city-regionen-erp-scq-scr.php EnergieRaumPlanung für Smart City Quartiere und Smart City Regionen (ERP_SCQ_SCR)] gibt Auskunft über Steuerungsansätze mit Energierelevanz in österreichischen Stadtregionen und daraus entwickelte Handlungsempfehlungen für die Energieraumplanung in Stadtregionen.
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Der Mobilitätsmasterplan ist nach dem „3v-Prinzip“ aufgebaut:
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*''Vermeiden'' ohne Verzicht! Mit der Verkehrswende zu weniger Verkehr, einem Mehr an Regionalität und einem Plus an Lebensqualität.
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*''Verlagern'', dort wo’s geht! Der Umstieg auf effiziente, umweltfreundliche und platzsparende Verkehrsmodi ist günstig, schafft Platz und Kapazität und fördert die Gesundheit.
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*''Verbessern'' und effizient gestalten! Die Energiewende im Verkehr als entscheidender Baustein zur Klimaneutralität 2040.
  
Zur spezifischen Situation der Raumordnung in Österreich, bezüglich der Rechte der BügermeisterInnen (agieren bei der Abwicklung von baurechtlichen Verfahren als Baubehörde 1. Instanz) und der Konkurrenz der Gemeinden untereinander, gibt eine [https://www.oerok.gv.at/fileadmin/user_upload/Bilder/5.Reiter-Publikationen/_ÖROK_202_dt._klein_HP.pdf Publikation der ÖROK] Auskunft.<ref> Gruber M., Kanonier, A., Pohn-Weidinger, S., Schindelegger, A. (2018). Raumordnung in Österreich: und Bezüge zur Raumentwicklung und Regionalpolitik, ÖROK, Wien </ref>
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Um die Neuorientierung der Mobilität einzuleiten, abzusichern und breit zu tragen, ist eine Bewusstseinsbildung und ein Mobilitätsmanagement notwendig. Wichtig sei dabei, alle AkteurInnen auf dem Weg mitzunehmen und die Vorteile der Mobilitätswende bewusst zu machen. Mit der Mobilitätswende soll letztlich ein vielfältiger Beitrag für die Gesellschaft geschaffen werden. Dazu sollen neue Formate für Dialog und Kooperation entwickelt und breite Allianzen gebildet werden, die gemeinsam an der Umsetzung des Mobilitätsmasterplans 2030 arbeiten.
  
==Quellen==
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==Einzelnachweise==
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<references/>

Version vom 15. November 2021, 17:15 Uhr

Die Existenz eines Raumes, in dem Objekte und Lebewesen sich befinden und bewegen, wird von Menschen im Allgemeinen als selbstverständlich vorausgesetzt. Jede Person nimmt den Raum um sich herum wahr, bewegt sich durch diesen Raum und orientiert sich darin mit verschiedenen Hilfsmitteln. Unser Agieren im Raum ist dabei durch die räumliche Lage der verschiedenen Aktivitäten (z.B. Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Sport), durch die Verbindungen zwischen diesen Aktivitäten (Infrastruktur, Verkehrsmittel) und der jeweiligen Nutzbarkeit dieser Verbindungen bestimmt (individuelle Verfügbarkeit von Verkehrsmitteln, Nutzungsbarrieren; siehe Barrieren & Disparitäten). Raum, Verkehr und Mobilität sind dadurch eng miteinander verbunden.

Historische Grundlagen der Raumentwicklungsplanung

Palmanova, Italien

Bevor Raumentwicklung zum Gegenstand eines institutionalisierten planerischen Instruments unterschiedlicher staatlicher Ebenen wurde, wurde es kaum für erforderlich empfunden, steuernd in die räumliche Nutzungsentwicklung einzugreifen. Dennoch gab es bereits seit der Antike Vorstellungen von „idealen“ Raumstrukturen, die Städte nach sozialutopischen oder ästhetischen Grundsätzen gestalten wollten, meist in Form geometrischer Grundrisse (Schachbrettmuster, konzentrische Ringe oder Sternformen, z.B. Palmanova) mit klaren Funktionszuordnungen innerhalb des Raumes. In den meisten Fällen stellten die Entwürfe eine Umsetzung von Ideen zu wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder politischer Organisation dar, etwa barocke Residenzstädte mit städtebaulichen Achsen und Dominanten als Abbild der absolutistischen Regierungsform (z.B. Karlsruhe, Mannheim), oder sozialreformerische Gartenstädte erdacht von Ebenezer Howard, welche jedoch nur teilweise umgesetzt wurden. Einen umfassenden Einblick in die Evolution räumlicher Planungsideale erhält man durch die Chronologie der internationalen Planungsgeschichte seit dem frühen 18. Jhd.[1] sowie der historischen Abfolge der einflussreichsten Planungstheoretiker[2]

Die Raumplanung befasst sich mit der Gestaltung des von Menschen in Anspruch genommenen und genutzten physischen Raumes sowie mit der Analyse und Begleitung raumbezogener Entwicklungen. Allerdings folgt die Raumentwicklung nicht nur einer gezielten Gestaltung der Raumstruktur, sondern auch politischen Interessen und gesellschaftlichen Trends.

Steigender Einfluss der Verkehrsentwicklung auf die Raumentwicklung

Die Charta von Athen

In einer Reihe von Stadtutopien der 1920er Jahre wurde die Großstadt der Zukunft durch „innovative Verkehrslösungen“ bestimmt: Dampfende Eisenbahnen fuhren ebenso durch Hochhäuser wie Autos auf dichtbefahrende Schnellstraßen und um die Häuser flogen kleinere Flugzeuge. Ein bekanntes städtebauliches Beispiel ist der Entwurf der „Ville Contemporaine“ von Le Corbusier aus dem Jahr 1922 oder die „Ville Radieuse“ aus dem Jahr 1930, der sich bereits stark an den Erfordernissen des ungestörten Automobilverkehrs und der starken Trennung der einzelnen Verkehrsströme orientiert, um höchstmögliche Geschwindigkeiten zu erzielen.

Ville Radieuse
Futurama: "To New Horizons", Weltausstellung 1939

Spätestens der aufwändig gestaltete Pavillon von General Motors bei der Weltausstellung 1939 in New York verdeutlichte das neue moderne Ideal der autogerechten Stadt: "Here is an American city, replanned around a highly developed, modern traffic system."[3].

Im Jahr 1933 wurde die Charta von Athen auf dem 4. Kongress der Congrès Internationaux d’Architecture Moderne unter maßgeblicher Führung von Le Corbusier verabschiedet. Aus dem Entsetzen über die krankmachende Enge insbesondere der Arbeiterquartiere bestand der Hauptgedanke dieser Charta in der Funktionstrennung. Die vier Funktionen Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Erholen sollten durch Grünzüge voneinander getrennt und über den „automobilen Verkehr“ verbunden werden, damit „Licht. Luft und Sonne“ die Wohnungen erreichen konnten. Dadurch verlängerten sich die Wege, auch wenn sie in Westeuropa bis in die Jahre des 2. Weltkrieges zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt wurden.

Diese Neuerung erforderte ein leistungsfähigeres Verkehrsnetz, das sowohl für Autos, als auch für Fußgänger sicher sein sollte[4]. Erste Beispiele für die Umsetzung sind unter anderem: die Ville Radieuse, der Masterplan Algier, der Masterplan Brasiliá, der Wohnblock "De Klijburg". Die mit dieser Art von Entwurf verbundenen Nachteile sind u.a. das mit der Funktionstrennung verbundene höhere Verkehrsaufkommen, insbesondere seit den späten 1950er Jahre durch einen wachsenden Motorisierungsgrad, die nötige Steuerung des Verkehrsverhaltens durch Trennen der Verkehrswege und einen höheren Flächenverbrauch. Im deutschsprachigen Raum wurde die Idee der Charta von Athen durch den Vertreter des „Neuen Bauens“ Johannes Göderitz, dem Wiener Architekt Roland Rainer und dem deutsch-österreichischen Stadtplaner und Architekt Hubert Hoffmann mit der „Gegliederten und aufgelockerten Stadt“[5] aufgegriffen.

Die autogerechte Stadt

Mit dem zunehmenden Aufschwung des Automobils in der Nachkriegszeit und dem damit einhergehenden Wirtschaftsaufschwung und der Technologiebegeisterung entwickelte sich schließlich auch ein spezieller Fokus auf die Rolle des Automobilverkehrs in der idealen Stadtgestaltung. Der Architekt Hans Bernhard Reichow publizierte im Jahr 1959 seine Ideen zur „autogerechten Stadt“[6]. Doch Reichow wurde gründlich missverstanden, denn er forderte keineswegs den forcierten Ausbau innerstädtischer Straßen. Er kritisierte ausdrücklich, die autogerechte Stadt vornehmlich mit Verkehrswegen in verschiedenen Ebenen zu planen, wie Le Corbusier es forderte. Anstelle der großen „chirurgischen Eingriffe“ von innerstädtischen Auto-Schnellstraßen interessierten ihn eher kleine Eingriffe. Dennoch wurde die „autogerechte Stadt“ zum Slogan des Wiederaufbaus der Städte, der Stadterweiterungen und bis weit in die 1990er Jahre der gesamten Stadtentwicklungsplanung. Diese führte letztlich auch dazu, dass die Siedlungsstrukturen immer weiter über die Grenzen der Städte hinaus ins Umland anwuchsen (Suburbanisierung), was die weitere Motorisierung forcierte und zu täglichen Pendler-Staus in die und in den Städten geführt hatte. Damit verfestigte sich die sog. „Automobilität“Referenzfehler: Für ein <ref>-Tag fehlt ein schließendes </ref>-Tag. Die im nachfolgenden Zeitverlauf erstellten nationalen Planungsstrategien spiegeln den Verlauf der Schwerpunktsetzung in der österreichischen Verkehrspolitik wider[7]

Standen im ersten Gesamtverkehrsplan 1968 noch der Ausbau von Infrastrukturen und eine „nachfrageorientierte“ Politik im Mittelpunkt, wurden – nicht zuletzt in Folge der Ölpreisschocks in den 1970er Jahren – seit den späten 1980er Jahren erste Umweltschutzanliegen formuliert. Mit dem Österreichischen Gesamtverkehrskonzept 1991 wurde bereits ein deutlich stärkeres Umweltbewusstsein deutlich, indem die Vermeidung unnötigen Verkehrs, die Förderung umweltfreundlicher Verkehrsmittel, die Partizipation und die Entwicklung neuester Technologien als Ziele festgesetzt wurden. Mit dem im Jahr 2002 folgenden Generalverkehrsplan Österreich wurden jedoch wieder vor allem ökonomische Ziele in den Vordergrund gerückt (Wettbewerbsfähigkeit, Standortqualität, rasche Implementierung, Sicherheit, Nachhaltigkeit), bis schließlich mit dem Gesamtverkehrsplan für Österreich 2013 integrierte, multimodale, nachfragebeeinflussende Strategien als Zielrichtung formuliert wurden (sozial – sicher – umweltfreundlich – effizient).

Die Zielsetzung der künftigen Verkehrs- und Mobilitätsentwicklung in Österreich wurde in zwei Dokumenten formuliert: Der FTI-Strategie Mobilität und dem Mobilitätsmasterplan 2030 für Österreich. Die FTI-Strategie Mobilität besteht aus vier Missionsfeldern. 1. Städte: urbane Mobilität klimaneutral gestalten; 2. Regionen: ländliche Räume mobilisieren und nachhaltig verbinden; 3. Digitalisierung: Infrastruktur, Mobilitäts- und Logistikdienste effizient und klimaverträglich betreiben und 4. Technologie: umweltverträgliche Verkehrstechnologien entwickeln.

In diesem Zusammenhang sollen innovative Experimentierräume geschaffen und neue Allianzen entwickelt werden.

Der Mobilitätsmasterplan 2030 für Österreich trägt den Untertitel „Der neue Klimaschutz-Rahmen für den Verkehrssektor Nachhaltig – resilient – digital“. Es geht hier nicht mehr um Ausbauziele der Verkehrsinfrastruktur, sondern er soll explizit dazu dienen, den EC Green Deal im Bereich Verkehr/Mobilität umzusetzen und dazu beitragen, dass Österreich bis zum Jahr 2040 klimaneutral wird. Dazu brauche es „Veränderungen in allen Bereichen des Verkehrssystems“ sowie „in der Infrastruktur, den Verkehrsmitteln, den Raumstrukturen, unserm Verhalten und unseren Einstellungen“ – die letztgenannten Ziele sind innerhalb der Verkehrs-/ Mobilitätsstrategien Österreichs neu, sie entsprechen aber exakt den Aufgaben des CMC.

Der Mobilitätsmasterplan ist nach dem „3v-Prinzip“ aufgebaut:

  • Vermeiden ohne Verzicht! Mit der Verkehrswende zu weniger Verkehr, einem Mehr an Regionalität und einem Plus an Lebensqualität.
  • Verlagern, dort wo’s geht! Der Umstieg auf effiziente, umweltfreundliche und platzsparende Verkehrsmodi ist günstig, schafft Platz und Kapazität und fördert die Gesundheit.
  • Verbessern und effizient gestalten! Die Energiewende im Verkehr als entscheidender Baustein zur Klimaneutralität 2040.

Um die Neuorientierung der Mobilität einzuleiten, abzusichern und breit zu tragen, ist eine Bewusstseinsbildung und ein Mobilitätsmanagement notwendig. Wichtig sei dabei, alle AkteurInnen auf dem Weg mitzunehmen und die Vorteile der Mobilitätswende bewusst zu machen. Mit der Mobilitätswende soll letztlich ein vielfältiger Beitrag für die Gesellschaft geschaffen werden. Dazu sollen neue Formate für Dialog und Kooperation entwickelt und breite Allianzen gebildet werden, die gemeinsam an der Umsetzung des Mobilitätsmasterplans 2030 arbeiten.

Einzelnachweise

  1. Campbell, S. (2020): Planning History Timeline: a Selected Chronology of Events. University of Michigan, online, laufende Aktualisierung.
  2. Campbell, S. (2019): Urban theorist timeline. University of Michigan, online, laufende Aktualisierung.
  3. Futurama (1939). "To New Horizons", General Motors, New York World's Fair
  4. Meyer, J. (2003). Städtebau: Ein Grundkurs, Kohlhammer, Stuttgart
  5. Göderitz, J.; Rainer, R. & Hoffmann, H. (1957): Die gegliederte und aufgelockerte Stadt. In: Archiv für Städtebau und Landesplanung, Heft 4.
  6. Reichow, H.B. (1959): Die autogerechte Stadt – Ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos. Otto Maier Verlag, Ravensburg.
  7. 15. Emberger, G. (2017): National transport policy in Austria – from its beginning till today. European Transport Research Review 9 (6). https://doi.org/10.1007/s12544-017-0223-2.