Barrieren & Disparitäten

Aus CMC Wiki
Version vom 11. Mai 2020, 07:55 Uhr von Stephan Tischler (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „Ungleichheiten werden solche Bedingungen genannt, die bestimmten sozialen Gruppen darin einschränken, sich angemessen gesellschaftlich beteiligen zu können.…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Ungleichheiten werden solche Bedingungen genannt, die bestimmten sozialen Gruppen darin einschränken, sich angemessen gesellschaftlich beteiligen zu können. Das sind im Verkehrssektor vor allem (#physische Barrieren), aber auch zu geringe zeitliche (#zeitliche Barrieren) und ökonomische Ressourcen (#sozioökonomische Barrieren). Hinzu kommen Einschränkungen, die stark personengebunden sind, weil diese Menschen bestimmte Informationen nicht aufnehmen können. Diese Ungleichheiten wurden bislang nur im Verkehrssektor aufgenommen, während in anderen Aspekten der Mobilität (neben der physischen Mobilität auch die Beweglichkeit von Informationen, Ideen, Narrationen etc.), beispielsweise hinsichtlich des Zugangs zum Internet, diese Aspekte bislang unberücksichtigt sind.

Physische Barrieren

Physische, also bauliche Barrieren sind Mauern, unüberwindbare Stufen oder starke Steigungen. Sie betreffen vor allem Personen mit Geheinschränkungen und visuellen Einschränkungen, die Verkehrsmittel nicht oder nur eingeschränkt nutzen und/oder öffentliche Gebäude nicht betreten und den öffentlichen Raum nicht nutzen können. Um diesem Personenkreis ihre eigenständige Mobilität erleichtern zu können, haben die United Nations (UN) und in Folge die Europäische Union (EU) Rahmenverordnungen erlassen, um den mobilitätseingeschränkten Personen einen Zugang und damit eine verbesserte gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Die nationale Umsetzung bezieht sich vor allem auf die Gestaltung der Fahrzeuge und bauliche Maßnahmen an Verkehrsanlagen sowie im Straßenraum und ist durch entsprechende Verordnungen geregelt.

Sozioökonomische Barrieren

Sozioökonomische Einschränkungen betreffen das verfügbare Haushaltseinkommen. Zu wenig Geld zu haben bedeutet, sich bestimmte Wege „nicht leisten“ zu können, die folglich unterbleiben. Je nach Art der Wege, wirkt sie dieses jedoch unterschiedlich aus: Ist der Weg zur weiterführenden Schule, zu einem passenden Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu weit, dann führt das zu weiteren sozioökonomischen Einschränkungen. Können Kultur- und Freizeiteinrichtungen nicht aufgesucht werden oder Freunde „außerhalb der Reichweite“ leben, dann hat das oftmals Einschränkungen zur Folge, die sich in einer eingeschränkten Lebensqualität und Wohnzufriedenheit auswirken. Aber auch das ist politikrelevant, weil eine angemessene kulturelle und soziale Teilhabe gesichert sein sollte. Dennoch gibt es in diesem Bereich keine ähnlich verbindlichen internationalen Vorgaben, die sich auf die allgemein verbindlichen Menschenrechte beziehen. Es bleibt den lokalen/regionalen/nationalen Aushandlungsprozessen überlassen, wie Tarifstrukturen des Personenverkehrs für einkommensschwache Personen geregelt werden (Schüler- und Senioren-Karten, Zuschüsse, 0-Tarife, etc.). Diese Barrieren liegen in der Regel unterhalb des „gesellschaftlichen Radars“ der Wahrnehmung dieser Barrieren. Neben den Kosten für einzelne Fahrten ist die Frage der Leistbarkeit einzelner Verkehrsmittel ein weiterer relevanter Bereich. Insbesondere in dünn besiedelten Regionen mit schlechter Erreichbarkeit durch den ÖPV und für aktive Formen der Mobilität, sind Menschen häufig auf den motorisierten Individualverkehr (MIV) angewiesen, was die Kaufkraft dieser Gruppen rasch überfordert.

Zeitliche Barrieren

Zeitliche Restriktionen entstehen für Personen, wenn berufliche und private Verpflichtungen einen sehr großen Zeitraum einnehmen. Insbesondere bei mehreren unterschiedlichen Verpflichtungen (Betreuung, Pflege, Hol- und Bringdienste, einkaufen) entsteht aufgrund der zu überwindenden Entfernungen ein hoher Verkehrsaufwand, der gerade bei intermodalen Wegeketten nicht nur einen hohen Koordinierungsaufwand bedeutet, sondern wegen der Umsteige- und Wartezeiten oft auch sehr zeitaufwändig ist. Die Verteilung von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit ist nach wie vor sehr ungleich zwischen Männern und Frauen verteilt. Dennoch muss hier zwischen der biologischen Zuordnung von Männern, Frauen und einem unbestimmten Geschlecht auf der einen Seite und gender unterschieden werden. Unter gender sind Zuschreibungen von Rollen an unterschiedliche Gruppen gemeint, d.h. beispielsweise auch die ungleiche Verteilung von Aufgaben, welche Wege erzeugen, die koordiniert werden müssen. Diese Ungleichheiten werden von Politik und Planung nicht berücksichtigt; der Ausgleich von Benachteiligungen bleibt den jeweiligen Mitgliedern von Haushalten selbst überlassen.

Kognitive Barrieren / digital divide

Unter kognitiven Barrieren werden mentale Einschränkungen verstanden, die von den Sinnen her und/oder vom Verständnis her von Personen nicht bewältigt werden können. Das bezieht sich vor allem auf Informationen – daher alle Informationen im ÖPV als double sense, das heißt zu lesen und zu hören. Aktuelle Informationen zu Fahrplänen oder Verspätungen sowie vor allem über Mobilitätsangebote des Sharing und von verkehrsmodus-übergreifenden Angeboten zur Unterstützung der Intermodalität werden zunehmend nicht mehr über persönliche und telefonische Kontakte oder ausgedruckte Fahrpläne vermittelt, sondern über digitale Informationssysteme (z.B. ÖBB Scotty etc.), die ein (mobiles) Endgerät, entsprechende Software-Pakete und die Kenntnis ihrer Anwendung erfordern. Das bedeutet, dass der Zugang zur digitalen Welt für bestimmte Bevölkerungsgruppen versperrt bleibt. Dass diese Barriere vor allem für ältere Menschen gilt, ist zwar empirisch richtig, jedoch nur eine sehr verallgemeinerte Aussage. Da der informationstechnische Wandel rascher erfolgt als die Fähigkeit zur Anpassung, ist zu befürchten, dass die Zahl der von modernen Mobilitätsangeboten ausgegrenzten Menschen ansteigen wird.